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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht
Autoren: Jörg Kastner
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beleuchtete eine unglaubliche Szene: Max und ich standen uns direkt gegenüber. Ich hielt meine Makarov auf sie gerichtet, sie zielte ebenfalls mit einer Automatik auf mich. Vermutlich war es die SIG-Sauer P230, die ich einem der drei Eindringlinge abgenommen hatte.
    »Du?«, brachte sie nach langem Schweigen hervor. »Was tust du hier?«
    »Ich muss mit dir reden, Max.«
    »Mit gezogener Waffe?«
    »So scheint es hier üblich«, sagte ich mit Blick auf ihre Pistole und ließ meine eigene Waffe sinken. »Außerdem wusste ich nicht, wer mich hier erwartet. Ist schließlich ein paar Tage her, seit ich …«
    »Seit du dich klammheimlich davongestohlen hast!«
    »Darf ich trotzdem reinkommen?«
    Max überlegte, nickte schließlich und trat zurück. Sie ließ die P230 sinken, behielt sie aber in der Hand. Mit der anderen Hand schaltete sie das Licht ein. Auf dem Tisch standen ein Glas Sekt und ein Teller mit Lachsschnitten und Kaviar.
    »Ein hübscher Mitternachtssnack. Hast du mich erwartet?«
    »Siehst du etwa zwei Gläser?« Max sprach in einem kalten Tonfall. »Ich feiere.«
    »Was?«
    »Gute Beute.«
    Ich ließ mich in einen Sessel fallen und steckte die Makarov zurück in die lederne Fliegerjacke, die, wie so ziemlich alles, was ich an und bei mir trug, Hugo Bartsch gehörte. Max blieb neben der Tür stehen und schien unsicher, was sie von meinem Besuch halten sollte. Ich konnte es ihr nicht verdenken.
    »Hast du mich vermisst?«, fragte ich.
    Sie presste ihre Lippen zusammen, als müsste sie mit ihren Gefühlen kämpfen. Ein leichtes Beben, wie von mühsam unterdrückter Wut hervorgerufen, ging durch ihren schlanken Körper. Sie trug schwarze Jeans und einen hellen Pulli, beides eng und figurbetonend. Max war eine sehr attraktive Frau. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie mit Rica verglich.
    Max trat zwei Schritte auf mich zu und fixierte mich. »Warum hätte ich dich vermissen sollen? Du bist in mein Leben geschneit, hast dich von mir durchfüttern lassen, hast mit mir geschlafen und mich zum Dank vor den drei Schweinen gerettet, die Otto getötet haben. Damit sind wir quitt, oder? Hätte ich da erwarten können, dass du bei mir bleibst oder mir zumindest eine Nachricht hinterlasse bevor du sang- und klanglos verschwindest?«
    Ich spürte, dass ich sie enttäuscht und verletzt hatte. Nur zu deutlich war es aus ihren Worten, ans ihrer Stimme, ihrem Gesicht und ihrer ganzen Körperhaltung zu spüren. Mehr noch, sie wirkte sehr nervös, als wäre es ihr lieber gewesen, mich nie wieder zu sehen.
    »Hast du mich auch schon vorher vermisst?«, fragte ich weiter.
    »Vorher? Ich verstehe dich nicht.«
    »Erzähl mir nicht, dass du mich nicht erkannt hast, Max. Ich hatte mein Gedächtnis verloren, nicht du! Es war kein Zufall, dass wir uns vor zwei Wochen am Brandenburger Tor begegnet sind. Dort haben wir uns schon einmal getroffen. Und die unterschwellige Erinnerung daran, ein winziger Rest meines alten Ichs, muss mich deshalb abends zum Pariser Platz geführt haben, geleitet von der schwachen Hoffnung, dich wieder zu finden.«
    Langsam öffnete Max den Mund, ihre Lippen zitterten, und die Worte kamen nur stockend heraus: »Bist du es wirklich? Arved?«
    »Zweifelst du etwa? Ich dachte, du hättest mich eher erkannt als ich mich selbst. Viel eher.«
    »Du hast mich in so vielem an Arved erinnert. Deine Stimme, deine Art, dich zu bewegen.« Sie lächelte plötzlich. »Und auch die Angewohnheit, eine Prise Curry über deinem Spiegelei zu zerreiben. Das alles ist der Arved, den ich kannte. Aber du hattest ein anderes Gesicht. Und du hast dich mit keinem Wort zu erkennen gegeben. Arved war auf einmal verschwunden gewesen – so wie später du. Was sollte ich davon halten?«
    »Du hättest mich fragen können.«
    »Einen Mann, der sich an überhaupt nichts erinnert?«
    »War es dir nicht wichtig?«
    »Das ist ungerecht!«, sagte sie laut. »Ich wollte, dass du bei mir bist. Weil du so warst wie Arved. Was ist, wenn du nicht er gewesen wärst. Hätte ich dir sagen sollen, dass ich dich liebe, weil du mich an einen anderen erinnerst?«
    Das Geräusch der auffliegenden Tür alarmierte mich, aber zu spät. Ich hätte auf den Gang achten sollen. Dann hätte mich meine Fähigkeit, Bewegungen auch hinter Mauern wahrzunehmen, gewarnt.
    Aber ich hatte nur auf Max geachtet. Ein böser Fehler.
    Vier Männer stürmten mit gezückten Waffen in den Raum. Zwei kannte ich nicht, die beiden anderen dafür nur zu gut: Martin Knaup und mein
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