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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht
Autoren: Jörg Kastner
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geblieben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Zander auszuschalten: Ein weiteres Attentat, ein getürkter Unfall oder ein saftiger Skandal, der ihn zum Rücktritt zwingt. Und schon ist Thomas Schling am Ruder, eine neue Gesetzesvorlage und voila!«
    »Du sprichst vom Bundeskanzler und seinem Vize, als seien sie nur Figuren in eurem Schachspiel.«
    »Das hast du sehr treffend ausgedrückt«, lobte Einar und wurde von einer Sekunde zur nächsten ernst; seine Stimme nahm einen drohenden Unterton an. »Und jetzt die Akten!«
    »Was ist, wenn ich mich lieber erschießen lasse?«
    Einar gab Knaup einen Wink, und der hielt den Lauf seiner Automatik gegen Max' Stirn.
    »Lässt du auch die hier lieber erschießen?«, fragte mein Bruder.
    Max sah mich an, aber in ihrem Blick lag keine Bitte, kein Flehen. Es war, als wollte sie sagen: »Entscheide du!«
    »Einverstanden«, erklärte ich. »Aber vorher lasst ihr Max gehen!«
    »Keine Scherze«, entgegnete Einar. »Die einzige Chance für euch beide ist, dass du mir jetzt die Akten übergibst.«
    »Dann hast du keinen Grund mehr, uns am Leben zu lassen.«
    »Das Risiko musst du eingehen, Arved. Vielleicht habe ich ja Mitleid mit meinem kleinen Bruder und lasse ihn mit seiner verkrachten Liebe laufen.« Er zuckte mit den Schultern, um anschließend ein falsches Lächeln auf seine Lippen zu zwingen. »Glaub mir, es ist eure einzige Chance!«
    Ich glaubte ihm kein einziges Wort, aber ich hatte keine Wahl.
    Otto begrüßt mich mit freudigem Gebell und streicht wie eine Katze um meine Beine. Er ist allein hier, Max ist auf ihrer abendlichen Diebestour. Gut für mich, so muss ich sie nicht in diese unerfreuliche Sache hineinziehen. Während ich Otto ins Innere des Gebäudes folge, erinnert mich das Gewicht des Pilotenkoffers bei jedem Schritt an meine gefährliche Mission. Ich brauche ein Versteck, und zwar ein gutes!
    Otto hat es plötzlich sehr eilig und läuft ein paar Meter vor mir über den dunklen Gang, ich folge ihm tiefer ins Labyrinth des Theaters, in den Bereich, wo der Strom schon seit Jahren abgeklemmt ist. Meine kleine Taschenlampe sorgt dafür, dass ich nicht über einen Treppenabsatz oder eine aus dem Boden ragende Diele stolpere.
    Als Otto mich zu dem großen Lagerraum mit den alten Kulissen führt, weiß ich, was ihn antreibt: Ein dringendes Bedürfnis, das er am liebsten an seinem Lieblingsplatz verrichtet. Zufrieden hebt er vor der alten Linde sein Bein, und mir kommt ein guter Gedanke …
    Einer der beiden Gorillas, von denen jeder eine Heckler & Koch MP5K am Schulterriemen umgehängt hatte, beleuchtete den finsteren Gang mit einer großen Stabtaschenlampe. Er ging neben mir, dicht gefolgt von Einar. Danach kam Knaup, der Max in einem brutalen Griff hielt und sie weiterhin mit seiner Glock 17 bedrohte. Den Abschluss machte der zweite Gorilla.
    Dicke Staubflocken tanzten im gelben Lichtstrahl der Taschenlampe und hustend fragte Einar: »Wie weit ist es noch? Wenn du uns in die Irre führst, schicke ich deine kleine Freundin zur Hölle!«
    »Wir sind bald da, nur noch rechts durch den großen Raum«, beruhigte ich ihn.
    Wir durchschritten den Lagerraum. Der schwere Geruch nach Leim und Farbe schien sich seit meinem letzten Besuch noch verstärkt zu haben.
    Während wir durch die Kulissen hindurchgingen, suchte ich fieberhaft nach einer Gelegenheit, das Blatt zu wenden. Allein gegen vier Bewaffnete, standen meine Chancen nicht allzu gut. Einar hatte meine Makarov mit einem spöttischen Blick und einer kurzen Bemerkung über meine unzulängliche Bewaffnung an sich genommen. Max' Pistole steckte in einer von Knaups Taschen. Zum Glück hatten sie mich nicht weiter durchsucht. Aber half mir das wirklich weiter?
    Der Weg endete vor der Außenwand, und Einar fragte genervt: »Und jetzt?«
    »Hinter der Tempelkulisse ist eine Tür, die auf einen Innenhof führt«, antwortete ich. »Da sind die Akten.«
    Einars Augen starrten mich durch die Brillengläser ungläubig an. »Draußen?«
    »Ja.«
    »Dann geh voran!«, befahl mein Bruder. »Aber denk immer daran: Nur eine missverständliche Bewegung, und Knaup bläst dem Mädchen den Schädel weg!«
    Ich konnte nichts gegen Einar und seine Männer unternehmen. Vermutlich hätte ich selbst es nicht überlebt. Max aber wäre ganz gewiss draufgegangen.
    Als ich den Innenhof betrat, fiel mein Blick auf den kleinen Erdhaufen, unter dem ich Otto begraben hatte.
    »Hast du die Akten etwa dort verbuddelt?«, fragte Einar, und ich
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