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Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)

Titel: Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
Autoren: Sandra Andrea Huber
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angesichts des makaberen Anblicks, der sich ihr bot. Céstines Oberschenkel und Arme waren von einer Vielzahl Schnitt- und Schürfwunden übersäht, aus denen Blut hervorquoll und in dünnen Linien nach unten floss. Das blonde Haar war wirr und aufgebauscht und mit roten Schlieren durchzogen. Die größte Verletzung zog sich vom Halsansatz hinab zum Schlüsselbein und verströmte großzügig sattes und dickflüssiges Blut in ihr Dekolleté.
    „Hallo Gwen. Nun lernen wir uns endlich einmal kennen. Ich habe schon viel von dir gehört. Und bestimmt hast du auch einiges über mich gehört. Nicht wahr?“
    Obwohl die Worte aus Céstines Mund kamen, sprach doch nicht Céstine. Es war noch immer die gleiche Stimme, doch sie hatte einen doppelten Klang angenommen. Gwen konnte das helle und melodische Timbre der Blondine hören und zeitgleich vernahm sie eine intensive und prägnante Tonspur, die sich über die ursprüngliche Stimmfrequenz legte.
    „Seltsam. Du siehst fast ein bisschen überrascht aus. Sag nicht, du hättest mich nicht erwartet. Ich meine, schließlich hat Hekate dich doch so vortrefflich über mich und meine … verursachte Naturwidrigkeit aufgeklärt. Nachdem sie das getan hat, blieb mir doch praktisch gar nichts anderes übrig, als mich dir persönlich vorzustellen und dir meinen Standpunkt darzulegen. Es wäre doch sehr unhöflich, wenn ich das nicht täte. Dir und mir gegenüber. Man soll mir schließlich nicht nachsagen, ich wüsste nicht, was sich gehört. Ganz im Gegensatz zu unser beider Bekannten. Oder wie siehst du das? War es besonders höfflich von der 
großen, mächtigen und weisen 
Hexengöttin, dich um Hilfe zu ersuchen, etwas zu verändern, zu stehlen, zu vernichten, das mir gehört? Heißt es nicht in eurer Bibel: „Begehre nicht deines nächsten Hab und Gut“? Nun … ich bin zwar kein Profi, was dieses ganze 
Themengebiet 
angeht, aber ich würde sagen, dass mit dieser Bittstellung genau das mit Füßen getreten wird: meine Rechte, mein Besitz. Ich war in der Tat sehr schockiert, dass hinter meinem Rücken über Dinge verhandelt wird, die mir gehören und daher wohl eher mit mir besprochen werden sollten.“
    Er hielt inne, bedachte sie immer noch mit diesem musternden und aufmerksamen Blick, ehe er nachsetzte: „Ich möchte wirklich nicht, dass du einen falschen Eindruck von mir gewinnst. Aber du wirst gewiss verstehen, dass ich nicht einfach dabei zusehen kann, wie mir jemand ins Handwerk pfuscht – oder meint, es tun zu müssen. Unter anderen Umständen hätten wir womöglich eine amüsante Zeit miteinander verbracht, aber …“, er seufzte, „es ist nun mal, wie es ist. Du stehst zwischen dem, was ich will und dem, was ich nicht will. Daher bleibt mir leider gar nichts anderes übrig, als dich aus dem Weg zu räumen. Nimm´s nicht persönlich.“ Er lächelte ein wohlwollendes Lächeln, das, vermengt mit der nüchternen Absicht sie zu töten, gruselig aussah.
    Gemächlich kam er auf sie zu.
    Sie wollte nicht sterben. Nicht hier. Nicht so. Nicht jetzt. Abermals robbte sie rücklings auf allen Vieren nach hinten über den scherbenübersäten Boden hinweg, als ihre Hand plötzlich auf etwas Kühles und Scharfes traf. Es war jedoch keine Scherbe des zu Bruch gegangenen Geschirrs oder Tisches. Es war das Messer, das Céstine aus ihrem Stiefel hervorgezogen hatte. Sie krallte ihre Hand darum. So fest und unauffällig sie konnte und kroch abermals zurück, bis sie das Ende des freien Raums erreicht hatte und die Zimmerwand in ihrem Rücken spürte.
    Lässig und mit ruhigen Schritten kam der verletzte und blutende Körper von Céstine, das Gefäß von Luzifer, auf sie zu. Ihre Nerven waren angespannt wie ein Gummi, den man aufs Äußerste gedehnt hatte. Blut rauschte ihr in den Ohren, wie ein reißender und todbringender Strom. Adrenalin erhöhte ihre Sinneswahrnehmung und zentrierte ihre Instinkte einzig auf die Absicht zu überleben.
    Er kam vor ihr zum Stehen, ging in die Hocke und legte eine Hand um ihren Nacken. Fast zärtlich, wie ein Liebhaber.
    Sie wartete nicht ab, ob es Céstines Kraft sein würde, mit der er ihr das Genick brechen würde oder seine eigene. Ihr blieb nur ein einziger Versuch. Es gab keine zweite Chance.
    In einer fließenden und fokussierten Bewegung schoss sie mit der Hand nach vorne und trieb die Schneide des Messers mit voller Wucht genau in das Herz von Céstine. Überrascht geweitete Augen sahen sie an. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie
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