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Wenn auch nur fuer einen Tag

Wenn auch nur fuer einen Tag

Titel: Wenn auch nur fuer einen Tag
Autoren: Annette Moser
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Sucht. Ich weiß, ich sollte sie nicht lesen, nicht zum hunderttausendsten Mal. Am besten sollte ich sie endlich löschen, aber ich schaffe es einfach nicht. Es ist, als hoffte ich auf irgendeine versteckte Erklärung in den wenigen Zeilen, eine Antwort auf die Frage »Warum?«. Augenblicklich fängt mein Herz an zu klopfen, als wüsste ich nicht längst in- und auswendig, wie die Nachricht lautet.
    Ciao, Bella! Rom ist traumhaft. Ich wünschte, du könntest das alles sehen. Lern fleißig weiter deine Italienisch-Vokabeln, in den Semesterferien kommst du mich dann besuchen! Bin jetzt bei meinem Chef und seiner Frau zum Essen eingeladen. Drück mir die Daumen! Grüße auch an Carla. Lasst es krachen! Bacio, Flo.
    Er hat die Nachricht um 19.22   Uhr abgeschickt, etwa vier Stunden vor seinem Tod.
    »It’s the way I’m feeling … I just can’t deny … Hmmmm … We found love in a hopeless place, we found love in a hopeless place …«
    Carla trällert vor sich hin, während sie unter der Dusche steht. Es ist nicht zu übersehen und nicht zu überhören, dass sie schwer verliebt ist. In Alex, einen braun gelockten, immer gut gelaunten Psychologiestudenten. Anscheinend kann sie es kaum erwarten, ihn nach zwei Monaten Semesterferien wiederzusehen. Sie haben stundenlang telefoniert, während wir in der Ferienpension ihrer Eltern, Sabine und Thomas, in Sankt Peter-Ording waren. Heimlich. Aber natürlich habe ich es trotzdem mitbekommen. Ich bin froh, dass Carla seit Kurzem endlich aufgegeben hat, ihre Gefühle für Alex vor mir zu verbergen. Auch wenn ich vielleicht abwesend gewirkt haben mag, hatte ich in den letzten Monaten schließlich keine Tomaten auf den Augen. Ich weiß, dass die beiden sich kurz vor Flos Tod nähergekommen sind, und keine Frage, ich freue mich für sie. Immerhin waren Carla und ich die letzten zwei Jahre lang wie Schwestern, nachdem meine Mutter von einem Tag auf den anderen mit einem anderen Mann abgehauen ist. Aber nach dieser schrecklichen Sachemit Flo haben mich plötzlich alle behandelt, als wäre ich ein rohes Ei und könnte jeden Moment zerbrechen. Ich glaube, sie hatten einfach ein schlechtes Gewissen, wenn sie glücklich waren oder ausgelassen. Als hätte es ihn wieder lebendig gemacht, wenn sie mit Trauermiene herumgelaufen wären. Oder als hätten sie Schuld an seinem Tod.
    Wie immer wird mir übel bei der Vorstellung, dass Flos Mörder noch frei herumläuft – lebendig und ungestraft. Vielleicht hat er noch nicht mal ein schlechtes Gewissen wegen dem, was er in wenigen Sekunden angerichtet hat. Man weiß nicht, was genau passiert ist und wer hinter dem Mord steckt. Die Ermittlungen in Rom laufen zwar noch, aber ich schätze, sie werden bald eingestellt. Es haben sich keine Zeugen gemeldet und auch ansonsten gibt es kaum Indizien. Die Polizei geht mittlerweile davon aus, dass es ein Junkie war, der Geld für Drogen brauchte und dann Schiss bekam und abgehauen ist, bevor er sich Flos Geldbeutel schnappen konnte. Eigentlich spielt es auch keine Rolle, wer der Typ war und weshalb er es getan hat. Ich frage mich bloß immer wieder, warum es ausgerechnet Flo treffen musste, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Das alles ist zum Verrücktwerden, so sinnlos, so schrecklich ungerecht. Es ist schwierig, die Tatsachen einfach hinzunehmen und nicht an ihnen zu verzweifeln.
    »Und? Mixt du uns zur Einstimmung einen Caipi?«
    Ich fahre herum. Carlas nasser Lockenkopf taucht in der halb geöffneten Küchentür auf. Schnell stecke ich mein Handy in die Hosentasche und rapple mich von der Couch auf. »Wow, du warst aber echt schnell.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Caipi ist ’ne super Idee. Haben wir braunen Zucker und Limetten?«

Lukas
    »Und? Für welchen Studiengang hast du dich entschieden, Lukas? Du hast dich doch hoffentlich fristgemäß an der Uni eingeschrieben.«
    Alfred Beck zieht seine linke dunkle Braue so weit nach oben, als wollte er damit seiner Geheimratsecke ein Toupet verpassen, und mustert mich dabei prüfend. Ich hasse es, wenn er so oberlehrerhaft mit mir spricht. Auch wenn er sich etwas darauf einbildet, der Schöpfer von Lukas Richter zu sein, heißt das noch lange nicht, dass er mein tatsächlicher Erzeuger ist und sich das Recht herausnehmen darf, mich über jedes Detail meines Lebens auszuquetschen. Nach acht Wochen Dauerkontrolle brauche ich endlich mal wieder so etwas wie Privatsphäre. Davon abgesehen habe ich selbst meinem Vaterlängst nicht alles
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