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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses
Autoren: Henry Miller
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Und er schreibt gut … bemerkenswert gut.»
    Ich versuche, Mister Wren zum Sprechen zu bringen, etwas, irgend etwas zu sagen, wenn nötig über das lahme Pferd zu sprechen. Aber Mister Wren kann kaum sprechen. Wenn er von diesen trostlosen Monaten mit der Feder zu sprechen versucht, wird er unverständlich. Er braucht Monate und Monate, ehe er ein Wort zu Papier bringt. (Und es gibt doch nur drei Wintermonate!) Worüber sinnt er in all diesen Monaten im Winter nach? Gott steh mir bei, aber ich kann mir den Kerl nicht als Schriftsteller vorstellen. Mistress Wren behauptet allerdings, wenn er sich einmal hinsetzt, sprudelt es nur so hervor .
    Das Gespräch schweift ab. Es ist schwierig, Mister Wrens Gedanken zu folgen, denn er sagt nichts. Er denkt im Gehen – so drückt Mistress Wren es aus. Mistress Wren stellt alles, was Mister Wren betrifft, im rosigsten Licht dar. ‹Er denkt im Gehen› – sehr nett, wirklich nett, würde Borowski sagen, aber in Wahrheit recht peinlich, besonders wenn der Denker nur ein lahmes Pferd ist.
    Boris gibt mir Geld für Schnaps. Während ich hingehe, um den Schnaps zu holen, bin ich bereits betrunken. Ich weiß genau, was los sein wird, wenn ich nach Hause zurückkomme. Während ich die Straße hinuntergehe, formt sich in mir die große Ansprache, sie gurgelt wie Mistress Wrens loses Lachen. Es kommt mir so vor, als habe sie bereits einen kleinen sitzen gehabt. Hört wundervoll zu, wenn sie benebelt ist. Wie ich aus der Weinhandlung herauskomme, höre ich es im Pissoir gurgeln. Alles ist locker und schäumend. Ich möchte, daß Mistress Wren zuhört …
    Boris reibt sich wieder die Hände. Mister Wren stottert und stammelt noch immer. Ich habe eine Flasche zwischen meine Beine geklemmt und bohre den Korkenzieher hinein. Mistress Wren sperrt erwartungsvoll den Mund auf. Der Wein schäumt zwischen meinen Beinen, Sonnenlicht schäumt durchs Fenster, und in meinen Adern ist ein Prickeln und Brausen von tausend verrückten Dingen, die jetzt wirbelnd aus mir hervorzubrechen beginnen. Ich sage ihnen alles, was mir einfällt, alles, was in mir verschlossen war und durch Mistress Wrens loses Lachen irgendwie befreit wurde. Mit dieser Flasche zwischen den Beinen und der durchs Fenster flutenden Sonne durchlebe ich noch einmal den Glanz der elenden Tage, als ich zum erstenmal nach Paris kam, ein verwirrter, von Armut heimgesuchter Mensch, der wie ein Geist auf einem Bankett in den Straßen umherirrte. Alles fällt mir blitzartig wieder ein – die Aborte, die nicht funktionieren wollten, der Fürst, der meine Schuhe putzte, das Cinéma Splendide, in dem ich auf dem Mantel des Besitzers schlief, das Gitter vor dem Fenster, das Erstickungsgefühl, die feisten Küchenschaben, die Saufereien und Festgelage, die von Zeit zu Zeit stiegen, Rose Cannaque und Neapel, die bei hellem Tageslicht starben. Mit leerem Magen durch die Straßen tanzen und dann und wann seltsame Menschen besuchen – so zum Beispiel Madame Delorme. Wie ich je zu Madame Delorme kam, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Aber ich kam hin, gelangte irgendwie ins Haus, vorbei an dem Butler, vorbei an dem Mädchen mit ihrem weißen Schürzchen, kam richtig hinein ins Schloß mit meiner Kordsamthose und meiner Lodenjoppe – und keinem Knopf an meinem Hosenlatz. Sogar heute noch sehe ich die glanzvolle Umgebung dieses Zimmers wieder vor mir, wo Madame Delorme in ihrer unweiblichen Aufmachung auf einem Thron saß, die Goldfische in den Rundgläsern, die Landkarten der Alten Welt, die schöngebundenen Bücher. Ich fühle wieder auf meiner Schulter ihre schwere Hand ruhen, die mich durch ihr massives lesbisches Aussehen ein wenig erschreckte. Gemütlicher war es da unten in dem dicken Menschenbrei, der in die Gare St. Lazare hineinfloß, den Huren unter den Torbogen, den Selterwasserflaschen auf jedem Tisch – ein dicker, in die Rinnsteine fließender Samenstrom. Es gibt nichts Besseres, zwischen fünf und sieben, als in diesem Gedränge mitgeschoben zu werden, einem Bein oder einem schönen Busen zu folgen, mitgerissen zu werden von der Flut, das ganze Hirn ein Wirbel. Eine seltsame Art der Befriedigung damals. Keine Verabredungen, keine Einladungen zum Essen, kein Programm, kein Geld. Die goldene Zeit, wo ich keinen einzigen Freund hatte. Jeden Morgen den langweiligen Gang zum American Express, und jeden Morgen die unvermeidliche Antwort des Angestellten. Dahin und dorthin sausen wie eine Wanze, um dann und wann, manchmal heimlich,
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