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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses
Autoren: Henry Miller
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am Fenster, sie winkt Lebewohl. Blasses, ernstes Gesicht, wild wehendes Haar. Und jetzt ist es ein ernstes Schlafzimmer, ihre Kehle atmet regelmäßig, Saft sickert noch zwischen ihren Beinen, ein warmer, katzenartiger Geruch, und ihr Haar in meinem Mund. Meine Augen sind geschlossen. Wir atmen warm einer in des anderen Mund. Eng beisammen, Amerika dreitausend Meilen entfernt. Ich will es nie wiedersehen. Sie hier neben mir im Bett zu haben, wie sie mich anatmet, ihr Haar in meinem Mund – das kommt mir wie ein Wunder vor. Bis zum Morgen kann nun nichts mehr passieren …
    Ich erwache aus tiefem Schlummer, um sie anzusehen. Ein fahles Licht sickert herein. Ich betrachte ihr herrliches, wildloderndes Haar. Ich fühle etwas meinen Nacken hinunterkrabbeln. Ich sehe sie aufs neue an, ganz nah. In ihrem Haar ist es lebendig. Ich schlage das Bettuch zurück – mehr davon. Sie wimmeln übers Kopfkissen.
    Es ist kurz nach Tagesanbruch. Wir packen hastig und stehlen uns aus dem Hotel. Die Cafés sind noch geschlossen. Unterwegs kratzen wir uns beim Gehen. Der Tag beginnt mit milchiger Weiße, Streifen lachsrosa Himmels, aus ihren Häusern kriechende Schnecken. Paris … Paris … Hier passiert alles. Alte, bröckelnde Mauern und das fröhliche Geräusch des in den Pissoirs rinnenden Wassers. Männer lecken in den Bars ihre Schnurrbärte ab. Laden öffnen sich mit einem Knall, und kleine Bäche rieseln in den Rinnsteinen. Amer Picon in riesigen, scharlachroten Buchstaben. Zig-Zag . Welchen Weg sollen wir nehmen und warum oder wohin oder was?
    Mona ist hungrig, ihr Kleid ist dünn. Nichts als Abendfähnchen, Parfumflaschen, barbarische Ohrringe, Armbänder, Enthaarungsmittel. Wir setzen uns in einen Billardsalon in der Avenue du Maine und bestellen heißen Kaffee. Die Toilette ist nicht in Ordnung. Wir werden eine Weile hier sitzen bleiben müssen, ehe wir in ein anderes Hotel gehen können. Derweilen lesen wir einander Bettwanzen aus dem Haar. Nervös. Mona verliert die Ruhe. Sie muß ein Bad haben. Muß dies haben. Muß jenes haben. Muß, muß, muß …
    «Wieviel Geld hast du noch?»
    Geld? Ganz vergessen.
    Hôtel des Etats-Unis. Ein ascenseur . Wir gehen bei hellem Tageslicht zu Bett. Als wir aufstehen ist es dunkel, und das erste, was wir tun müssen, ist: genug Pinke auftreiben, um ein Telegramm nach Amerika loszulassen. Ein Telegramm an den Fetus mit der langen, würzigen Zigarre im Mund. Derweilen gibt es die Spanierin am Boulevard Raspail – sie ist immer gut für eine warme Mahlzeit. Bis zum Morgen wird schon irgendwas passieren. Schließlich gehen wir zusammen zu Bett. Jetzt keine Wanzen mehr. Die Regenzeit hat begonnen. Die Bettwäsche ist untadelig.

I n der Villa Borghese beginnt für mich ein neues Leben. Erst zehn Uhr, und wir haben bereits gefrühstückt und einen Gang außer Haus gemacht. Wir haben jetzt eine Elsa bei uns. «Benimm dich ein paar Tage anständig», mahnt Boris.
    Der Tag beginnt strahlend: heller Himmel, frischer Wind, die Häuser neu getüncht. Auf unserem Weg zum Postamt sprechen Boris und ich über das Buch. Das letzte Buch – das anonym geschrieben werden soll.
    Ein neuer Tag beginnt. Ich fühlte es heute morgen, als wir vor einem von Dufresnes leuchtenden Bildern standen, einer Art Dejeuner intime im 13. Jahrhundert, sans vin . Ein feiner, fleischiger Akt, fest, vibrierend, rosa wie ein Fingernagel, mit strahlenden Fleischpolstern; alle sekundären und ein paar der primären Merkmale. Ein Körper, der erregt, der die Feuchtigkeit des Morgens hat. Ein Stilleben, nur ist hier nichts still, nichts tot. Der Tisch biegt sich unter Eßbarem; er ist so schwer beladen, daß er fast aus dem Rahmen rutscht. Ein 13.-Jahrhundert-Schmaus – mit all den Merkmalen des Dschungels, die er so gut aus der Erinnerung aufgezeichnet hat. Ein Gazellenrudel und Zebras, die an den Palmwedeln knabbern.
    Und nun haben wir Elsa. Sie spielte uns heute morgen etwas vor, als wir noch im Bett lagen. Benimm dich ein paar Tage anständig … Gut! Elsa ist das Hausmädchen, und ich bin der Gast. Und Boris ist der dicke Boss. Ein neues Drama beginnt. Ich lache in mich hinein, während ich das schreibe. Er weiß, was passieren wird, Boris, dieser Luchs. Er hat auch eine Nase für die Dinge. Benimm dich anständig …
    Boris sitzt wie auf glühenden Kohlen. Jeden Augenblick kann jetzt seine Frau auf dem Schauplatz erscheinen. Sie wiegt gut 180 Pfund, seine Frau. Und Boris ist nur eine halbe Portion. Da habt ihr die Lage.
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