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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses
Autoren: Henry Miller
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wer kommt oder was passiert. Wir winden uns in die Toilette, und dort stelle ich sie gegen die Wand gelehnt hin und versuche, ihn in sie hineinzukriegen, aber es will nicht gehen, also setzen wir uns auf den Sitzdeckel und versuchen es auf diese Weise, aber es will auch nicht gehen. Ganz gleich, wie wir’s versuchen, es will nicht gehen. Und die ganze Zeit hält sie meinen Pint fest, klammert sich daran wie an einen Rettungsring, aber es hat keinen Zweck, wir sind zu hitzig, zu hastig. Die Musik spielt noch, und so walzen wir in den Waschraum hinaus, und wie wir so in dem Scheißhaus tanzen, ergieße ich mich über ihr ganzes schönes Kleid, und sie ist höllisch wütend darüber. Ich stolpere zum Tisch zurück, und da ist Borowski mit seinem rosigen Gesicht und Mona mit ihrem mißbilligenden Blick. Und Borowski sagt: «Fahren wir doch morgen alle nach Brüssel», und wir stimmen zu, und als wir ins Hotel zurückkommen, übergebe ich mich durchs ganze Zimmer, ins Bett, in die Waschschüssel, über die Anzüge und die Kleider und die Überschuhe und die Spazierstöcke und die Notizbücher, die ich nie anrührte, und über die kalt und tot daliegenden Manuskripte.
    Ein paar Monate später. Dasselbe Hotel, dasselbe Zimmer mit Blick auf den Hof, wo die Fahrräder stehen, und über uns, unter dem Dach, ist das kleine Zimmer, in dem ein junger Klugscheißer den ganzen Tag Grammophon spielt und, so laut er kann, einzelne schwierige Stellen wiederholt. Ich sage ‹wir›, aber ich nehme die Dinge vorweg, denn Mona war lange Zeit fort, und ich soll sie erst heute an der Gare St. Lazare treffen. Gegen Abend stehe ich dort, das Gesicht zwischen die Gitterstäbe gepreßt, aber da ist keine Mona, und ich lese noch einmal das Telegramm, doch es hilft nichts. Ich gehe ins Quartier Latin zurück und vertilge trotz allem eine herzhafte Mahlzeit. Wie ich ein wenig später am Café du Dôme vorbeischlendere, sehe ich plötzlich ein blasses, ernstes Gesicht mit brennenden Augen – und das kleine Samtkleid, das ich immer verehrte, weil unter dem weichen Samt stets ihre warmen Brüste, die marmornen, kühlen, festen, muskulösen Beine waren. Sie tauchte aus einem Meer von Gesichtern auf und umarmte mich, umarmte mich leidenschaftlich – tausend Augen, Nasen, Finger, Beine, Flaschen, Fenster, Handtäschchen und Untertassen starren uns an, und wir vergessen alles, einer in des anderen Armen. Ich setze mich neben sie, und sie redet – ein Redeschwall. Wilde, verzehrende Töne der Hysterie, Verdrehtheit, Vergiftung. Ich verstehe kein Wort, weil sie schön ist und ich sie liebe und nun glücklich und bereit bin zu sterben.
    Wir gehen die Rue du Château hinunter, auf der Suche nach Eugène. Gehen über die Eisenbahnbrücke, wo ich gewöhnlich zuschaute, wie die Züge hindurchfuhren, während ich mich innerlich krank fühlte und mich fragte, wo zum Teufel sie wohl sein könne. Alles ist sanft und bezaubernd, als wir über die Brücke gehen. Rauch steigt zwischen unseren Beinen hoch, die Schienen dröhnen, Lichtsignale sind in unserem Blut. Ich fühle ihren Körper nah an meinem, jetzt ganz mein – und ich höre auf, mit meinen Händen über den warmen Samt zu streicheln. Alles um uns zerbröckelt, zerfällt, und der warme Körper unter dem warmen Samt verzehrt sich nach mir.
    Wieder in demselben Zimmer und dank Eugène um fünfzig Francs reicher. Ich blicke hinaus auf den Hof, aber das Grammophon schweigt. Der Koffer ist geöffnet, und ihre Sachen liegen ganz wie früher überall verstreut. Sie legt sich angezogen aufs Bett. Einmal, zweimal, dreimal, viermal … ich fürchte, sie wird verrückt … im Bett, unter den Bettdecken, wie gut, wieder ihren Körper zu fühlen! Aber für wie lange? Wird es diesmal halten? Schon habe ich ein Vorgefühl, daß es nicht von Dauer ist.
    Sie spricht so fieberhaft auf mich ein – so, als gebe es kein Morgen. «Sei still, Mona! Sieh mich nur eben an … rede nicht!» Endlich schläft sie ein, und ich ziehe meinen Arm unter ihr hervor. Meine Augen fallen zu. Ihr Körper ist hier neben mir … wird jedenfalls sicher bis zum Morgen hier neben mir sein … Es war im Februar, als ich bei dichtem Schneegestöber aus dem Hafen ausfuhr. Das letzte, was ich von ihr sah, war, daß sie am Fenster stand und mir Lebewohl winkte. Ein Mann stand auf der anderen Straßenseite an der Ecke, den Hut ins Gesicht gezogen, das Kinn auf die Brust gelegt. Ein Fötus, der mich anblickt. Ein Fötus mit einer Zigarre im Mund. Mona
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