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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses
Autoren: Henry Miller
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einer Whiskyflasche, und ihre Zunge war voll Unflat und Vertröstungen auf morgen. Armer Carol, er konnte nur in ihr zusammenfallen und sterben. Sie tat einen Atemzug, und er fiel heraus wie ein totes Muscheltier.
    Ein riesiges, dickes Kaliber, avec des choses inouïes . Ein Koffer ohne Riemen. Ein Loch ohne Schlüssel. Sie hatte einen deutschen Mund, französische Ohren, einen russischen Hintern. Möse international. Wenn die Flagge gehißt war, sah man bis zum Schlund hinauf rot. Man kam am Boulevard Jules-Ferry hinein und an der Porte de la Villette heraus. Man ließ seine Kalbsbrieschen in die Mistkarre fallen – eine rote Mistkarre, mit zwei Rädern, versteht sich. Am Zusammenfluß von Ourcq und Marne, wo das Wasser durch die Dämme gurgelt und wie Glas unter den Brücken liegt. Llona liegt nun dort, und der Kanal ist voll Glas und Splitter. Die Mimosen trauern, und an den Fensterscheiben rüttelt ein feuchter, dunstiger Furz. Eine Möse unter Millionen, Llona! Ganz Möse und ein Glasarsch, in dem man die Geschichte des Mittelalters lesen kann.
    Auf den ersten Blick ist Moldorf die Karikatur eines Menschen. Basedow-Augen. Lippen wie Autoreifen. Stimme wie Erbsensuppe. Seine Weste umspannt ein birnenförmiges Bäuchlein. Wie man ihn auch ansieht, es ist immer der gleiche Anblick: Netsuke, Schnupftabaksdose, Elfenbeinstockgriff, Schachfigur, Fächer, ein Tempelmotiv. Er hat nun so lange gegoren, daß er amorph ist. Ihrer Vitamine beraubte Hefe. Ein Blumentopf ohne Gummibaum.
    Die Weiber waren einmal im 9. Jahrhundert vergewaltigt worden, und noch einmal während der Renaissance. In gelben und weißen Mutterleibern wurde er durch die großen Vertreibungen getragen. Lange vor dem Exodus spuckte ihm ein Tatare ins Blut.
    Sein Dilemma ist das des Zwerges. Mit seinem Basedow-Auge sieht er seine Silhouette auf eine unermeßliche Leinwand projiziert. Seine dem Schatten eines Stecknadelkopfes angemessene Stimme berauscht ihn. Er hört ein Dröhnen, wo andere nur ein Quieken hören.
    Und sein Denken! Es ist ein Amphitheater, in dem der Schauspieler eine proteische Vorstellung gibt. Moldorf, vielgestaltig und unfehlbar, spielt seine Rollen – Clown, Jongleur, Schlangenmensch, Priester, Wüstling, Quacksalber. Das Amphitheater ist zu klein. Er sprengt es mit Dynamit. Das Auditorium ist betäubt. Er erschlägt es.
    Ich versuche erfolglos, an Moldorf heranzukommen. Es ist, als versuche man Gott zu erreichen, denn Moldorf ist Gott – war nie etwas anderes. Ich bringe nur Worte zu Papier …
    Ich hatte mir Ansichten über ihn gebildet, die ich fallengelassen habe: ich hatte dann andere Ansichten, die ich nun revidiere. Ich habe ihn festgenagelt, nur um zu entdecken, daß ich keinen Mistkäfer in der Hand hielt, sondern eine Libelle. Er hat mich durch seine Grobheit beleidigt und durch sein Zartgefühl überwältigt. Er war bis zum Ersticken geschwätzig, dann wieder still wie der Jordan.
    Wenn ich ihn auf mich zutrotten sehe, um mich zu begrüßen, seine kleinen Pfoten ausgestreckt, mit schwitzenden Augen, dann habe ich das Gefühl, als begegne ich … Nein, auf diese Weise geht’s nicht!
    « Comme un œuf dansant sur un jet d’eau .»
    Er hat nur einen Spazierstock, einen zweitklassigen. In seinen Taschen Papierschnipsel mit Rezepten gegen den Weltschmerz. Er ist jetzt geheilt, und dem kleinen deutschen Mädel, das ihm die Füße wusch, bricht das Herz. Er ist wie Mister Nonentity, der überall sein indisches Wörterbuch mit herumschleppt. « Für jedermann unumgänglich », was zweifellos unentbehrlich heißen soll. Borowski würde das alles unverständlich finden. Borowski hat für jeden Tag der Woche einen anderen Spazierstock – und einen besonderen für Ostern.
    Wir haben so viele Dinge gemeinsam, daß es ist, als betrachtete ich mich selber in einem gesprungenen Spiegel.
    Ich habe meine Manuskripte durchgesehen, mit Verbesserungen bekritzelte Seiten. Literatur , seitenweise. Das erschreckt mich ein wenig. Es ähnelt so sehr Moldorf. Nur, ich bin ein Ungläubiger, und Ungläubige leiden auf andere Art. Sie leiden ohne Neurosen, und, wie Sylvester sagt, ein Mensch, der nie eine Neurose gehabt hat, weiß nicht, was Leiden heißt.
    Ich erinnere mich deutlich, wie ich mein Leiden genoß. Es war, als nähme man ein Tierjunges mit sich ins Bett. Gelegentlich drückte es einem seine Krallen ins Fleisch – und dann bekam man es wirklich mit der Angst zu tun. Gewöhnlich hat man keine Angst – man konnte es immer freilassen
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