Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition)
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
Unschuld auf. Das ist ein ganz unglaubliches Opfer.«
    Als Adam etwas sagte, war er überrascht, wie unüberhörbar die Verachtung in seiner Stimme war: »Und Sie haben schon einmal jemanden getötet, das haben Sie also nicht mehr zu bieten.«
    Whelk fing an zu fluchen, ganz leise, als wäre außer ihm niemand da. Blätter, die die Form und Farbe von Pennys hatten, schwebten rings um sie zu Boden. Neeve starrte noch immer Adam an. Das Gefühl, in ihren Augen einen anderen Ort zu sehen, war jetzt nicht mehr zu leugnen. Ein schwarzer, spiegelglatter See, eine Stimme, tief wie die Erde, zwei obsidiandunkle Augen, eine andere Welt.
    »Mr   Whelk!«
    Gansey!
    Ganseys Stimme war aus der Richtung des hohlen Visionenbaums erklungen und nun folgte auch der Rest von ihm, als er hervortrat. Dicht hinter ihm tauchten Ronan und Blue auf. Adams Herz war ein Vogel und gleichzeitig ein Stein – er konnte seine Erleichterung förmlich schmecken, genau wie seine Scham.
    »Mr   Whelk«, wiederholte Gansey. Selbst mit Brille und ungewaschenen, wirren Haaren verströmte er seine ganze strahlende und kraftvolle Richard-Gansey-III.-Herrlichkeit. Er sah Adam nicht an. »Die Polizei ist unterwegs. Ich rate Ihnen dringend, sich von dieser Frau fernzuhalten, wenn Sie das Ganze nicht noch schlimmer machen wollen.«
    Whelk sah aus, als wollte er etwas erwidern, sagte dann aber doch nichts. Stattdessen starrten alle auf das Messer in seiner Hand und den Boden darunter.
    Neeve war nicht mehr da.
    Sofort ließen alle ihre Blicke über das Pentagramm, den ausgehöhlten Baum, den noch immer klaren, ruhigen Teich schweifen – aber es war lächerlich. Neeve hätte sich nicht wegschleichen können, ohne dass es irgendjemand bemerkt hätte, nicht innerhalb von zehn Sekunden. Sie hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Sie war verschwunden .
    Einen Augenblick lang regte sich gar nichts. Sie alle schienen wie zu einem Schaubild der Unsicherheit erstarrt.
    Dann hechtete Whelk aus dem Pentagramm. Adam brauchte nur eine Sekunde, um zu begreifen, dass er es auf die Pistole abgesehen hatte.
    Ronan warf sich im selben Moment auf Whelk, als dieser sich mit der Pistole in der Hand erhob. Whelk donnerte die Waffe gegen Ronans Kiefer. Ronans Kopf flog nach hinten.
    Whelk richtete die Pistole auf Gansey.
    Blue schrie: »Aufhören!«
    Es blieb keine Zeit mehr.
    Adam sprang in die Mitte des Pentagramms.
    Seltsamerweise war dort kaum etwas zu hören, zumindest nicht so, wie es der Normalität entsprochen hätte. Das Ende von Blues Ausruf klang gedämpft, als hätte jemand das Wort gepackt und unter Wasser gedrückt. Die Luft um Adam schien stillzustehen. Es war, als hätte die Zeit selbst sich verlangsamt, als existierte sie kaum noch. Das Einzige, was er sicher spürte, war Elektrizität – das kaum wahrnehmbare Kribbeln eines aufziehenden Gewitters.
    Neeve hatte gesagt, es ginge nicht ums Töten selbst, sondern um das Opfer, das man dadurch brachte. Das hatte Whelk offensichtlich komplett den Wind aus den Segeln genommen.
    Adam jedoch wusste, was es bedeutete, ein Opfer zu bringen, mehr, als Whelk und Neeve es je hatten erfahren müssen. Er wusste, dass man dafür nicht zwingend jemanden töten oder ein Muster aus Vogelknochen legen musste.
    Denn im Grunde brachte Adam schon seit langer Zeit nichts als Opfer und ihm war klar, welches das größte von allen war.
    Entweder zu seinen Bedingungen oder gar nicht.
    Er hatte keine Angst.
    Adam Parrish zu sein, war eine komplexe Angelegenheit, ein erstaunliches Zusammenspiel von Muskeln und Organen, Synapsen und Nerven. Er war ein Wunder aus beweglichen Gliedern, ein Musterbeispiel des Überlebens. Das Wichtigste für Adam Parrish war jedoch stets der freie Wille gewesen, die Möglichkeit, sein eigener Herr zu sein.
    Das war das Wichtigste.
    Es war immer das Wichtigste gewesen.
    Das war es, was es bedeutete, Adam zu sein.
    Adam kniete in der Mitte des Pentagramms, grub die Finger in die weiche, moosige Erde und sagte: »Ich opfere mich selbst.«
    Ganseys Aufschrei war voller Qual: »Adam, nein! Nicht!«
    Entweder zu seinen Bedingungen oder gar nicht.
    »Ich werde deine Hände sein«, dachte Adam. »Ich werde deine Augen sein.«
    Ein Klacken erklang, als würde ein Schalter umgelegt. Dann ein Knistern.
    Und unter ihren Füßen begann sich die Erde aufzubäumen.

46
    B lue wurde gegen Ronan geschleudert, der auf dem Boden kauerte und sich gerade von Whelks Schlag hatte aufrappeln wollen. Vor ihr wogten die massiven
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher