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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition)
Autoren: Maggie Stiefvater
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wollen.
    Beim Anblick des Camaros schien Ganseys Miene, die zuvor schon mehr als grimmig gewesen war, komplett zu versteinern. Keiner sagte etwas, als sie den Waldrand erreichten.
    Hier wurde das Gefühl der Spannung, oder vielleicht auch der verborgenen Möglichkeiten, abrupt stärker. Schulter an Schulter traten sie zwischen die Bäume und von einem Wimpernschlag auf den anderen war alles in verträumtes Nachmittagslicht getaucht.
    Obwohl sie auf jeglichen Zauber vorbereitet gewesen war, stockte Blue der Atem.
    »Was denkt Adam sich nur dabei?«, murmelte Gansey vor sich hin. »Wie kann er so leichtsinnig sein, sich …« Er verlor das Interesse daran, seine eigene Frage zu beantworten.
    Vor ihnen stand Noahs Mustang, der in der überirdisch goldenen Sonne noch surrealer wirkte als beim ersten Mal. Einzelne Strahlen durchstießen die Baumkronen und zeichneten Streifen auf das mit Blütenstaub überzogene Dach.
    Blue stand an der Vorderseite des Wagens und winkte die Jungen zu sich. Sie traten neben sie und starrten auf die Windschutzscheibe. Seit sie zum letzten Mal auf der Lichtung gewesen waren, hatte jemand etwas auf das staubige Glas geschrieben. Dort stand in runden Druckbuchstaben:
ERMORDET.
    »Noah?«, fragte Blue ins Nichts hinein, das sich absolut nicht nach nichts anfühlte. »Noah, bist du bei uns? Hast du das geschrieben?«
    »Oh«, machte Gansey.
    Es war ein kurzer, seltsam tonloser Laut, und anstatt Gansey zu bitten, sich klarer auszudrücken, folgten Blue und Ronan seinem Blick zum Fahrerfenster. Dort war ein unsichtbarer Finger dabei, ein weiteres Wort an die Scheibe zu schreiben. Obwohl Blue gespürt hatte, dass Noah das Wort geschrieben haben musste, hatte sie ihn sich dabei mit einem Körper vorgestellt. Zuzusehen, wie die Buchstaben einfach so auftauchten, war wesentlich schwerer zu ertragen. Es erinnerte sie an den Noah mit den schwarzen Höhlen anstelle von Augen, der eingeschlagenen Wange, der kaum noch menschlichen Gestalt. Selbst in der Wärme des Nachmittags wurde ihr kalt.
    »Das ist Noah«, sagte sie sich. »Er entzieht mir Energie. Nur deswegen fühle ich mich so.«
    Das Wort auf der Scheibe nahm Form an.
    ERMORDET
    Der Finger machte weiter. Das nächste Wort hatte nicht genug Platz hinter dem ersten, sodass er dieses teilweise überschrieb.
    ERMORDET
    Und wieder und wieder und wieder, kreuz und quer:
    ERMORDET
    ERMORDET
    ERMORDET
    So ging es weiter, bis die Scheibe des Fahrerfensters sauber war, vollständig blankgeputzt durch den unsichtbaren Finger, bis so viele Wörter dort standen, dass man keines davon mehr lesen konnte. Bis nur noch ein Fenster in einem leeren Auto übrig war, das den Blick auf den Geist eines Hamburgers auf dem Beifahrersitz freigab.
    »Noah«, sagte Gansey. »Es tut mir so leid.«
    Blue wischte eine Träne fort. »Mir auch.«
    Ronan trat vor, beugte sich über die Motorhaube, setzte den Finger auf die Windschutzscheibe und, während die anderen zusahen, schrieb er:
    UNVERGESSEN
    Callas Stimme erhob sich in Blues Kopf, so laut und deutlich, dass sie sich fragte, ob die anderen sie auch hören konnten: »Ein Geheimnis hat deinen Vater getötet. Und du kennst dieses Geheimnis.«
    Kommentarlos schob Ronan die Hände in die Taschen und marschierte davon, tiefer in den Wald hinein.
    Noahs Stimme zischte etwas in Blues Ohr, kalt und eindringlich, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagen wollte. Sie bat ihn, es zu wiederholen, aber er schwieg. Sie wartete ein paar Sekunden ab, doch es kam nichts mehr. Adam hatte recht: Noah wurde immer weniger.
    Nachdem Ronan schon vorausgegangen war, schien es plötzlich auch Gansey eilig zu haben. Blue konnte ihn gut verstehen – irgendwie schien es wichtig zu sein, dass sie sich nicht aus den Augen verloren. In diesem Moment kam ihr Cabeswater wie ein Ort vor, an dem man sich nur zu leicht verirren konnte.
    »Excelsior«, sagte Gansey ausdruckslos.
    »Was heißt das überhaupt?«, fragte Blue.
    Gansey warf ihr einen Blick über die Schulter zu. Jetzt glich er dem Jungen vom Kirchhof wieder ein kleines bisschen mehr.
    »Immer aufwärts.«

45
    V erdammt«, sagte Whelk, als er Adam neben der Schale stehen sah, die er gerade umgetreten hatte. Whelk hielt ein sehr großes, sehr wirkungsvoll aussehendes Messer in der Hand. Er wirkte schmuddelig und unrasiert und sah aus wie ein Aglionby-Junge nach einem harten Wochenende. »Warum?«
    In seiner Stimme lag ernsthafte Verärgerung.
    Adam hatte seinen Lateinlehrer nicht mehr gesehen,
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