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WELTEN-NEBEL

WELTEN-NEBEL

Titel: WELTEN-NEBEL
Autoren: Anja Buchmann
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wurde, ließen sie sich auf einem solchen Platz, einem kleinen Felsplateau, das durch einen darüber befindlichen Überhang auch etwas Schutz vor dem Wetter bot, nieder.
    Der Regen hatte sich zwar nicht auf ihre Reise, wohl aber auf Ihels Laune ausgewirkt. So missmutig hatte er sie nie zuvor erlebt. Dabei hätte sie in Hochstimmung sein müssen, immerhin war ihr Ziel in greifbare Nähe gerückt. Vielleicht würden sie es schon am nächsten Tag erreichen. Doch er unterließ den Versuch, sie mit dieser Aussicht aufmuntern zu wollen, denn möglicherweise war gerade dies der Grund für ihre schlechte Stimmung. Fürchtete sie womöglich, all ihre Hoffnungen würden enttäuscht werden?
    „ Könntest du mir mal helfen?“ Ihr Ton ließ ihn auffahren. Es war keine freundliche Bitte, sondern eine brüske Aufforderung gewesen. Dabei ging es bloß darum, die Decken für die Nacht zu entrollen. Bei einer hatte sich der Riemen, der sie zusammenhielt, verdreht, sodass sie ihn nicht zu lösen vermochte. Er ging zu ihr hinüber und streckte die Hände aus.
    „ Gib her, ich versuche es mal.“
    Sie warf ihm das Bündel mehr zu, als dass sie es ihm reichte. Er machte sich daran, den Knoten zu entwirren. Als er es geschafft hatte, erwartete ihn kein 'Danke' sondern ein 'Na endlich'.
    Das konnte er sich unmöglich länger mit ansehen.
    Er fragte: „Was ist los? Was hast du?“
    „ Nichts.“
    Sie wandte ihm den Rücken zu. Sie versuchte eindeutig, ihm auszuweichen. Mit einem Griff an ihre Oberarme zwang er sie sanft, aber bestimmt, sich wieder umzudrehen. Er versuchte, ihr in die Augen zu blicken, doch sie drehte ihren Kopf zur Seite.
    „ Sei nicht so stur. Bitte sag mir, was dich bedrückt.“
     

    Sie konnte es ihm nicht sagen, sie wollte ihn nicht damit belasten. Er hätte ihr ohnehin nicht mehr bieten können als Mitleid. Seit sie mit dem Aufstieg begonnen hatten, hatte sie jede Nacht Albträume gehabt. An diesem Morgen aber hatte sie sich erstmals an deren Inhalt erinnern können. Sie hatte Bilder gesehen, die sie schon aus ihrer Vision kannte: Da war das Haus in den Bergen. Ihr Vater war auch da gewesen, doch hatte er sie kaum eines Blickes gewürdigt, hatte sie nicht als seine Tochter angenommen. Sie war enttäuscht gewesen, hatte bittere Tränen geweint. Dann aber war da der alte Mann, Eldan, ihr Großvater, gewesen, doch er hatte nichts Gütiges, Großväterliches an sich gehabt, war kalt und distanziert gewesen. Er hatte zu ihr gesprochen, hatte sie gemahnt, dass sie, die Tochter aller Völker, ihr Herz nicht an weltliche Dinge wie Familie und Freunde hängen durfte. Ihr wäre Höheres bestimmt, sie sollte dem Willen der Götter folgen und die Völker einen. Und noch während der Alte diese Worte gesprochen hatte, waren ihr Vater und auch Waylen vor ihren Augen verschwunden, hatten sie einsam zurückgelassen. Dann war sie aufgewacht.
    Nun hatte sie Angst, dass es nicht nur ein Traum gewesen war, sondern ein Blick in die Zukunft, ihre Zukunft. Neben ihrem eigenen Kummer quälte sie die Frage, was wohl mit Liwam und Waylen geschehen würde. Würden sie nur aus ihrem Leben verschwinden, oder bedeutete ihr Verschwinden, dass sie sterben würden? Schon aus diesem Grund konnte sie sich Waylen nicht anvertrauen, sie konnte ihm unmöglich sagen, dass am Ende dieser Reise möglicherweise der Tod auf ihn wartete.
    Er hielt sie noch immer fest, wartete auf ihre Antwort. Doch sie konnte es einfach nicht. Ohne dass sie es verhindern konnte, stiegen ihr Tränen in die Augen.
     

    Er sah den Schmerz in ihrem Gesicht, sah ihre Tränen. Er fühlte sich hilflos. Was sollte er tun, wenn sie ihm den Grund für ihren Kummer verschwieg? Er zog sie in seine Arme, hielt sie so fest, dass sie sich nicht würde entwinden können. Er gab ihr etwas Zeit, sich zu beruhigen. Auch als ihre Tränen zu trocknen begannen, ließ er sie nicht los.
    „ Ihel, war ich dir nicht stets ein treuer Begleiter? Sind wir nicht Freunde geworden auf dieser Reise? Du vertraust mir doch, oder?“
    Er spürte, wie sie nickte.
    „ Was bekümmert dich so sehr, dass du dich nicht einmal mir zu sagen traust?“
    Eine Weile herrschte Schweigen, dann schien Ihel sich zu einer Antwort durchgerungen zu haben.
    „ Eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Ich hatte letzte Nacht nur einen Albtraum. Aber wie gesagt, es war nur ein Traum, es ist dumm von mir, mich deswegen zu sorgen.“
    „ Bitte lüg mich nicht an, das habe ich nicht verdient. Es war nicht nur irgendein
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