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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten
Autoren: Dan Wells
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lösten und den Toten durch die Hintertür ins Haus rollten. Die Polizisten schlenderten ziellos auf dem Parkplatz umher, starrten den Himmel, den Wald hinter dem Haus oder die Risse im Asphalt an. Es war Mitte August, und die Risse waren voller Ameisen, die in geheimnisvollen Geschäften eilig hin und her rannten. Einer der Polizisten bückte sich, betrachtete sie aus der Nähe, richtete sich wieder auf und fuhr mit dem Fuß durch das Gewimmel. Die Kolonie zerstreute sich, formierte sich neu und machte weiter wie zuvor. Als etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte, schlenderte der Cop davon.
    Nachdem Ron sich verabschiedet hatte, ging ich nach unten zu Mom und Margaret in den Behandlungsraum, wusch mir die Hände und zog einen weißen Kittel und Handschuhe an.
    »Hallo, John.« Hinter dem Mundschutz war Margaret kaum von Mom zu unterscheiden.
    Der Einbalsamierungsraum war alt und mit verblassten blaugrünen Kacheln ausgekleidet, doch er war sauber, alles glänzte, und der Deckenventilator war fast neu. Die Geräte kamen in die Jahre, funktionierten aber noch einwandfrei, und die Räder unserer Beistellwagen und Tische waren gut geölt und liefen lautlos.
    Wir besaßen das einzige Bestattungsunternehmen im Ort und lebten von toten Freunden und Nachbarn. Zugegebenermaßen war dies eine ungewöhnliche Art, den Lebensunterhalt zu verdienen, aber morbid war es nicht. Die Beerdigung ist der letzte große Auftritt des Körpers, bevor er für immer begraben wird. Eine Gelegenheit für die ganze Familie, sich zu versammeln und an die schönsten Augenblicke des gemeinsamen Lebens zu erinnern. Man hatte mir beigebracht, die Toten zu achten, wie Ehrengäste zu behandeln und den Tod als ein Ereignis zu betrachten, anlässlich dessen man sich über das Leben freuen sollte. Ich wusste nicht, ob ich das alles wirklich glaubte, auf jeden Fall aber liebte ich das Einbalsamieren mehr als alles auf der Welt. Da verbrachte ich eine gewissen Zeitspanne mit einem Menschen, den ich zwar nicht kannte, zu dem ich aber eine tiefere persönliche Verbindung herstellte als jemals zu einem lebenden Menschen. Kein Wunder, dass ich so oft davon geträumt hatte, Brooke einzubalsamieren.
    »Pastor Elijah Olsen«, las Margaret von den Papieren ab, die Ron uns dagelassen hatte. Der Leichensack lag ungeöffnet und friedlich auf dem Tisch. »Vor etwa sechs Tagen gestorben, volle Autopsie, Organe im Beutel, Hände und Zunge fehlen. Einschusswunde hinten, Austrittswunde vorn in der Brust, Stichverletzungen im Rücken. Alles andere ist normal, immer vorausgesetzt, dass Ron ordentlich gearbeitet hat.« Mit einem humorlosen Kichern legte sie die Dokumente weg.
    Niemand rührte sich.
    »So langsam hab ich die Nase voll davon.« Erbost starrte Mom den Leichensack an. »Könnte bitte mal wieder jemand an Altersschwäche sterben?«
    »Sieh es doch mal so: Der Clayton-Killer hat uns einen neuen Ventilator beschert.« Margaret stemmte die Hände in die Hüften. »Clark Forman haben wir den neuen Computer im Büro zu verdanken. Wenn der Handlanger noch eine Weile bleibt, können wir uns eine neue Verstärkeranlage für die Kapelle kaufen.«
    Mom lachte trocken und schüttelte den Kopf. »Dann will ich beten, dass wir uns die neue Anlage niemals leisten können.«
    Auch wenn die beiden zögerten, ich wollte unbedingt anfangen. »Kommen wir doch mal in die Gänge!«
    »Hoffentlich fällt der Ventilator nicht aus«, sagte Margaret. Das war ein alter Scherz aus jenen Tagen, als der Ventilator verschlissen gewesen war und unsere Chemikalien aggressiver reagiert hatten. Der Satz hatte Tradition und stellte ein Ritual dar. Wir begannen erst, wenn sie diesen Satz ausgesprochen hatte. Nun nickten wir und machten uns an die Arbeit.
    Ich öffnete den Leichensack und zog ihn weg, bis der Tote zum Vorschein kam. Gewöhnlich schickte man uns die Leichen spätestens einen Tag nach dem Tod, voll bekleidet und steif von der Leichenstarre. Die Starre klang erst nach ein, zwei Tagen wieder ab. In Mordfällen dagegen trafen die Leichen wegen der Autopsie erst viel später ein: geschmeidig, gewaschen und teilweise zerlegt. Auf dem Oberkörper des Toten prangte ein großes Y, nachdem der Gerichtsmediziner den Körper aufgeschnitten und alle Organe entnommen hatte. Anschließend hatte er den Schnitt lose vernäht und die Innereien nach der Untersuchung in eine Plastiktüte gesteckt, die jetzt im Bauchraum lag. Die Arme liefen zu Stümpfen aus, da der Killer dem Opfer die Hände
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