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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten
Autoren: Dan Wells
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sofort.
    »Oder er«, berichtigte ich mich rasch. »Er oder sie denkt vorher genau über alles nach und ist in allem sehr gewissenhaft. Aber wenn es dann tot ist, nachdem sie getan hat, was sie tun musste, dreht sie total durch.« Ich deutete auf den Rücken. »Das da ist die nackte Wut. Welches Ziel der Killer auch verfolgen mag, welchen Bedürfnissen das Töten dient – die Grundlage von allem ist Wut.«
    »Wut – worauf?«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich gedehnt. »Auf Pfarrer? Auf Männer? Auf uns?«
    »Auf uns?«, wiederholte Mom.
    Ich erwiderte ihren Blick. Liefen ihre Fragen darauf hinaus, ob der Dämon wirklich einen Rachefeldzug führte? Die nächsten Worte wählte ich mit größter Sorgfalt.
    »Wer immer es war, ist durchs halbe Land gereist, um die Tat zu begehen. Er oder sie wird von starken Zwängen getrieben, ist sehr vorsichtig und sehr wütend. Ohne weitere Beweise sagt uns dies eigentlich nur … dass wir bald weitere Hinweise bekommen werden. Wahrscheinlich sehr bald schon.«
    Wir betrachteten den Körper, das halb geronnene dunkle Blut, das im grellen Licht glänzte. Jetzt hatte ich einige neue Puzzleteile in die Hand bekommen und eine Ahnung, warum diese Dämonin tötete, und das war gut. Sehr gut sogar. Doch während ich mehr über das Wie erfuhr, kamen mir Zweifel, ob ich das wahre Warum kannte.
    Und das war überhaupt nicht gut.
     

VIER
     
    Am Sonntag ging ich zur Kirche.
    Ich bin nicht besonders religiös, würde mich aber auch nicht als Atheisten bezeichnen. In Wahrheit denke ich kaum darüber nach und bin vor allem deshalb kein Kirchgänger, weil meine Eltern keine sind. Als ich das Wort Dämonen benutzte, um die Ungeheuer zu beschreiben, die ich gesehen hatte, war mir nicht einmal klar, dass es einen religiösen Ursprung hatte. Mich hatte wohl vor allem die Tatsache angeregt, dass es der Sohn des Sam in einem Brief an die Cops verwendet hatte. Aber nur weil Dämon ein cooles Wort war, hieß das noch lange nicht, dass der Handlanger meiner Ansicht nach ein gefallener Engel oder ein ähnlich Verrückter war.
    Demnach ging ich also nicht zur Kirche, um am Gottesdienst teilzunehmen, um zu singen, zu beten und dergleichen mehr. Ich betrat das Gebäude, weil dort Priester tätig waren, und ich wählte den Sonntag, weil ich da am ehesten einen von ihnen anzutreffen hoffte. Genauer gesagt ging ich zur katholischen Saint Mary’s Church, um mit Pfarrer Erikson zu reden, der, wie die Fernsehreporter behaupteten, Pastor Olsens bester Freund gewesen war. Die Saint Mary’s Church und die presbyterianische Kirche Thron Gottes hatten schon bei vielen Projekten zusammengearbeitet und gemeinsam Suppenküchen und Gemeindedienste organisiert. Der Freund des Opfers war die beste Spur, auf die ich in den letzten beiden Monaten gestoßen war. Meiner Meinung nach war es an der Zeit, dem Pfarrer ein paar Fragen zu stellen.
    Der Parkplatz war voll, deshalb parkte ich auf der anderen Straßenseite und wartete im Auto, bis die Leute aus der Kirche kamen: Mädchen in Kleidern mit Blumenmustern, Männer mit Krawatte und weißem Hemd. Es waren mehr, als ich erwartet hatte. Ich blieb still sitzen, als sie zu den Autos gingen, und beobachtete aufmerksam die Gesichter. Sie redeten und lachten, lächelten oder machten mürrische Gesichter. Sie blinzelten ins Licht oder starrten düster und nachdenklich auf die Welt da draußen. Welche Schuld trugen sie? Wie weit würden sie gehen, wenn man sie antrieb?
    In meinen Augen war jeder verdächtig, vom ältesten Mann bis zum kleinsten Kind. Jeder von ihnen konnte der Dämon sein.
    Sie stiegen in die Autos und fuhren weg. Ich verließ meinen Beobachtungsposten und überquerte die Straße, betrat die Kirche und übersah das Lächeln einiger alter Damen, die mir im Vorraum begegneten. Pfarrer Erikson war noch in der Kapelle, wanderte zwischen dem Gestühl umher und rückte die kleinen roten Gesangbücher zurecht.
    »Hallo«, begrüßte er mich lächelnd. »Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«
    »Ich …« So etwas hatte ich noch nie getan und war nicht sicher, was ich sagen sollte. Ich konnte ja nicht irgendein Abzeichen vorweisen und ihn regelrecht vernehmen. »Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«
    Er neigte den Kopf zur Seite, betrachtete mich und legte das Gesangbuch weg, das er in der Hand hielt. »Natürlich«, sagte er. »Worum geht es denn?« Er kam mir entgegen und schien ein wenig bekümmert – die Stirn in Falten gelegt, die Augen geweitet. Ich
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