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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten
Autoren: Dan Wells
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töten, ist davon auszugehen, dass bald auch ein Mitglied Ihrer Gemeinde ermordet wird, das ist so gut wie sicher. Was werden die Angehörige dazu sagen? Der Pastor hätte ihn retten können, aber stattdessen hat er sich über Hoffnung ausgelassen. Gott sei Dank. «
    »Ich bin Priester und kein Polizist«, erklärte er. »Jeder hat seine Aufgabe, und jeder hilft, so gut er kann. Ich weiß eigentlich nichts über Serienkiller und über die Verfolgung von Kriminellen. Ich kenne mich auch kaum mit Erster Hilfe aus und wüsste nicht, wie ich einem Opfer beistehen sollte, das ich auf der Straße finde. Aber ich bin ein guter Lehrer und ein gutes Oberhaupt meiner Gemeinde, und ich diene den Menschen am besten, wenn ich mich auf diese Aufgaben beschränke.« Er veränderte seine Haltung und beugte sich vor. »Ist dir eigentlich klar, dass seit einem Jahr viel mehr Menschen als früher die Andachten besuchen? Auch die Spenden für die Armen haben zugenommen, und wir finden mehr Freiwillige als früher für Gemeindeaufgaben. Prüfungen schweißen die Menschen zusammen. Die Killer kommen und gehen, aber die Gemeinde hat Bestand. Menschen müssen essen, sie brauchen ein Heim und einen Job, und sie wollen sich auf jemanden verlassen können. Wie du sagst, schleicht da draußen ein Wolf herum, aber einige von uns sind Jäger, andere sind Hirten. Nur wenn wir zusammenarbeiten, sind die Schafe in Sicherheit.« Er lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß. »Vermutlich bist du eher ein Jäger.«
    Sprachlos starrte ich ihn an und wurde plötzlich höchst nervös.
    »Das ist schon in Ordnung«, beruhigte er mich. »Wir brauchen Jäger und Beschützer. Aber wir brauchen auch die anderen. Niemand kann alle Aufgaben auf einmal übernehmen.«
    Wir schwiegen eine Weile. Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Ich war aus der Bahn geworfen und verwirrt, suchte angestrengt nach den richtigen Worten.
    »Ich bin für einen Zeitungsartikel auf der Jagd nach ihm«, sagte ich schließlich, »und dazu brauche ich Ihre Hilfe. Sie waren mit Pastor Olsen befreundet. Können sie mir mit irgendeiner Information helfen, den Killer zu fassen?«
    »Ich … ich weiß nicht …«, stammelte er.
    »Egal, was Sie wissen, alles könnte hilfreich sein«, fuhr ich rasch fort. »Was hat er an dem Tag getan? Warum war er abends noch in der Kirche? Hat er Drohanrufe bekommen oder fragwürdige Besucher empfangen? Der Handlanger kommt aus Georgia – hatte Pastor Olsen Verbindungen dorthin? Es muss doch irgendwelche Hinweise geben, die zum Täter führen.«
    »Ich meinte nicht, dass du selbst ein echter Jäger werden solltest«, erklärte Erikson. »Ich wollte nur anmerken, dass du dir anscheinend Gedanken machst und helfen willst, und das finde ich wirklich ganz prima, aber … du bist noch ein Junge. Lass besser die Finger von so gefährlichen Sachen.«
    »Oh, keine Sorge.« Die Lüge kam mir mühelos über die Lippen. »Es geht ja nur um einen Artikel und um eine gute Note in der Schule. Alles, was Sie mir sagen, stelle ich der Zeitung zur Verfügung, und dann kümmern die sich weiter darum.«
    Er sah mich an und schwieg.
    »Ich schwöre Ihnen, ich lasse mich auf nichts Gefährliches ein.«
    »Gib mir deine Telefonnummer«, sagte er schließlich. »Wenn mir etwas einfällt, rufe ich dich an.«
     
    Marci Jensen wohnte in einem alten gelben Haus in der Innenstadt von Clayton, nur einen Block von der Main Street entfernt. Es war das älteste Stadtviertel, in dem recht hohe Häuser mit Giebeldächern zwischen alten Bäumen standen, die die Gebäude sogar noch überragten. Die Gehwege waren dunkel und rissig, hier und dort hatten sich Buckel gebildet, wo die Wurzeln der Bäume unter dem Gehweg hindurchkrochen und den Belag anhoben. Am Straßenrand stand ein Streifenwagen. Ich lehnte das Fahrrad an den niedrigen Eisenzaun und ging zum Vordereingang. Verwilderte schmale Beete teilten sich den Vorgarten mit zotteligem gelbem Gras, das vermutlich nicht allzu viel Sonne bekam. Das Haus kam mir vor wie eine Hütte im Wald, die von der Natur zurückerobert worden war, bis sie nicht mehr von der Umgebung zu unterscheiden war.
    Die Veranda war alt und verwittert; hinter dem nur lose angelehnten Fliegengitter stand die Tür offen. Ich klopfte.
    Drinnen polterten Schritte, dann tauchte aus einem Nebenzimmer ein etwa zwölfjähriger schmuddeliger Bursche auf. Irgendwo weiter hinten lief ein Fernseher. Bevor ich etwas sagen konnte, wandte er sich um und
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