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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Autoren: Urs Wälterlin
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zu kaufen. Dann diskutieren wir das Tagesgeschehen, während er seine Kunden bedient. Dave ist ein quirliger Mittfünfziger mit einem Kranz von grauem Haar unter einer glänzenden Glatze. Und – für einen Australier ungewöhnlich – er hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Er ist kritisch, auch gegenüber seinem eigenen Land. »Weshalb kommt jemand aus der paradiesischen Schweiz nach Australien?«, fragt er, als er einmal mehr über die vermeintliche Unfähigkeit der australischen Politiker wettert. Diese Frage sollte mir im Verlauf der Jahre immer wieder gestellt werden. Heidi, Matterhorn, Toblerone, saubere Straßen, Roger Federer und Nummernkonti – die üblichen Klischees. Viele Australier können nicht verstehen, wie man ein Leben in einem solchen »Paradies« freiwillig aufgeben kann. Dabei wissen sie oft gerade mal, dass das Land in Europa liegt. Aber wo genau? »I am Swiss« – »Ich bin Schweizer«, stelle ich mich vor. »Ah, you come from Sweden«, lautete die Antwort schon öfter, als ich zählen kann. Schweiz, Schweden – ist doch alles dasselbe. Geographie hat in australischen Schulen scheinbar keine Priorität.
    In unserem Garten blühen die Blumen. Und sogar die Rote Bete gedeiht. Wir leben so wie die große Masse der Durchschnittsaustralier: weit weg von der teuren Innenstadt, von Hafen und Opernhaus, in den äußeren Quartieren einer Großstadt, in Suburbia. Das Leben als Hausbesitzer – oder sagen wir lieber Hausbewohner, denn zu 89 Prozent gehört unsere Bleibe ja der National Australia Bank – gefällt uns. Trotzdem ist Christine frustriert, ja fast melancholisch. Ihre jahrelange Erfahrung als Krankenschwester in Europa, ihre deutschen Qualifikationen, all das scheint hier nichts mehr wert zu sein. Sie kann in Australien nicht in ihrem Beruf arbeiten. Am Abend setzt sie sich hin und lernt – jeden Abend. »Ich muss meine ganze Ausbildung nachbüffeln«, stöhnt sie. Nicht einfach ein wenig Chemie hier, ein bisschen Anatomie da. Das volle Programm. Und das mehr als 15 Jahre nachdem sie die Krankenpflegeschule in Nürnberg besucht hatte. Doch ihre Ausbildung, die Erfahrung danach, die Jahre in verschiedenen Abteilungen, auf Intensivstationen und im Operationssaal – sie zählen nichts. Nur mit einem Schein des australischen Pflegeverbandes ausgerüstet, wird sie in diesem Land als Schwester an einem Krankenbett stehen. Christine ist fest entschlossen: Sie will in drei Monaten den Test machen, der ihr zumindest im Bundesstaat New South Wales die Arbeit als qualifizierte Krankenschwester erlaubt. »So hatte ich mir das nicht vorgestellt«, seufzt sie und geht zum Schreibtisch. Sie wirkt erschöpft, blass. Ich mache mir Sorgen. Eigentlich ist sie in unserer Beziehung die Gelassene, die nichts aus der Fassung bringen kann. Ich bin der, der sich sorgt, der immer um die Zukunft fürchtet. Nach Mitternacht finde ich sie, den Kopf auf dem Pult, vor Erschöpfung eingeschlafen.
    Christine teilt das Schicksal vieler Neuankömmlinge. Enthusiasmus und Tatendrang weichen schnell Frustration und Enttäuschung. Tage später, als ich in einem Taxi durch Sydney fahre, komme ich mit dem Fahrer ins Gespräch. Singh ist sein Name. »Eigentlich bin ich Doktor«, sagt der Inder. »Ich bin seit vier Jahren hier, aber ich habe bisher mein ›Ticket‹ nicht geschafft.« Bei Ärzten ist die Australian Medical Association (AMA) für die Zulassung zuständig. Diese Organisation – sie alleine und nicht etwa der Staat – entscheidet bei Medizinern, welche ausländischen Ausbildungen anerkannt werden und welche nicht. Immer wieder muss sich die AMA vorwerfen lassen, sie nutze ihre Macht vor allem, um australische Ärzte vor Konkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Und das trotz des chronischen Mangels an Medizinern in ländlichen Gebieten. »Ein australischer Doktor ist hundertmal so viel wert wie einer aus Pakistan«, hatte mir mal in Adelaide ein eben promovierter Mediziner gesagt – ohne nur ansatzweise Scham für seinen unverhohlenen Rassismus zu zeigen. Der junge Schnösel bestätigte nur, was viele Kritiker sagen: Die Bewertungen der Qualifikationen ausländischer Ärzte durch die AMA seien unfair und basierten oftmals weniger auf Fakten denn auf Antipathie gegenüber den Kollegen aus nichtwestlichen Ländern. »Alles Rassisten«, glaubt auch Singh. In Gesprächen, die ich in den folgenden Jahren mit anderen Ärzten führe, taucht dieser Vorwurf immer wieder auf. Ob aus Irak, Indien,
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