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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Autoren: Urs Wälterlin
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genügen würde, ist mir bis heute nicht klar. Denn außer vielleicht mit einem kurzen »Yes« oder »No« hatte ich seinen Monolog kaum mal unterbrochen. »Bingo!«, sagte der Australier, als hätte er gerade für mich im Lotto gewonnen. »Sie haben 90 Punkte. Höchstzahl. Stellen Sie den Antrag!«
    Für Christine war klar, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten. »Dann können wir vielleicht sogar ein paar Monate länger bleiben, falls es uns gefällt«, meinte sie. Wir leiteten den Antrag ein. Dutzende Formulare, Übersetzungen längst verstaubter Schulzeugnisse, den Leumundsbericht von Christines längst verstorbener Oma aus Polen, ein Besuch beim Arzt, ein Aidstest. Nach acht Wochen hatten wir alle notwendigen Dokumente zusammen, schickten sie an die australische Botschaft, bezahlten ein halbes Monatsgehalt für Gebühren und machten uns darauf gefasst, lange zu warten.
    Drei Wochen später kam der eingeschriebene Brief. Auf dem Umschlag das Siegel, komplett mit Känguru und Emu. »Die Regierung von Australien verleiht Ihnen ein Daueraufenthaltsvisum. Sie müssen innerhalb von 12 Monaten einreisen, oder es verfällt. Senden Sie uns Ihren Pass.« Uns blieb die Spucke weg. »Permanent Residency« – volles Bleiberecht, keine Beschränkung bei der Arbeitssuche. Der Jackpot unter den Visakategorien. Nie zuvor und nie mehr danach habe ich gehört, dass eine Einwanderung so rasch bewilligt wurde. Es steht für mich außer Frage, dass der redselige Beamte in der australischen Botschaft in Bern schon während meines Besuches die Entscheidung getroffen hatte, uns den Schlüssel zu seinem Land zu geben. Und das wohl nur, weil ich ihm eine halbe Stunde lang geduldig zugehört habe.

    *
    »Ich habe genug«, sage ich zu Christine, die sich inzwischen auch aus dem Bett gequält hat. Das Thermometer steht bei einem Grad. Der kleine Heizer hat keine Chance gegen die australische Bauweise. Unser Haus hat die isolierenden Qualitäten einer Kartonschachtel. Nicht nur sind die Wände hauchdünn, und Doppelverglasung ist in Australien scheinbar ein unbekanntes Wort. Es zieht durch alle Ritzen. »Ich glaube, es wird Zeit, zu gehen«, sage ich. »Ja«, stottert Christine. Ihre Lippen sind blau.

KAPITEL 2
    Drei Jahre später, und wir haben unser Haus im Sibirien Australiens längst vergessen. Wir leben in Sydney. Nichts fasst die Lebensqualität in dieser Stadt so zusammen wie Jogging am Strand, morgens um sechs. »Hi Steve«, rufe ich, als ich an der Wäscherei um die Ecke vorbeirenne und seinen immer fröhlichen Besitzer sehe, einen ehemaligen Polizisten. »Wie geht’s?«, fragt er. Die Antwort ist jeden Morgen dieselbe: »Großartig. Und dir?« Manchmal frage ich mich, was Steve wohl sagen würde, wenn ich mit »miserabel« antworten würde. Australier lieben Floskeln. Freundlichkeit ohne Verbindlichkeit.
    In unserem Stadtteil Randwick erlebt man, was diese Stadt ausmacht: die Strände, den Hafen. Es ist wunderbar, im Licht der aufgehenden Sonne am Strand seine Runden zu drehen. Die ersten Schwimmer kämpfen sich durch die Brandung, Surfer paddeln auf ihren Brettern zu den besten Wellen. Und in den Cafés am Strand des benachbarten Stadtteils Coogee trinken die Frühaufsteher Cappuccino. Im nassen Badeanzug und mit einem Frottiertuch auf dem Kopf sehen sogar Filmstars ganz normal aus. Gestern saß Cate Blanchett am Nebentisch.
    Sydney hat einen ganz eigenen Charakter, und zwar, weil es eigentlich keinen wirklichen Charakter hat. »Das« Sydney gibt es nicht, genauso wie es »das« Australien nicht gibt. Sydney hat fast so viele Facetten und Charaktere, wie es Stadtteile gibt. Schon nach ein paar Kilometern Autofahrt könnte man glauben, man befinde sich in einem anderen Land.
    Viele Touristen sehen kaum mehr von der Stadt als den Hafen, das Opernhaus mit den Segeldächern und die imposante Brücke, die den Norden mit dem Süden der Stadt verbindet. Und vielleicht noch die Strände Bondi und Manly. Doch das ist nur ein Bruchteil des Lebensraums in unserer Stadt, und auch nicht ein typischer, denn hier zu wohnen kann sich kein Normalsterblicher leisten. Das war nicht immer so. Noch in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts galten Stadtteile am Hafen, die heute beste – und teuerste – Adressen sind, als verruchte Arbeiterviertel, als Tummelplätze für Gauner, Huren und Zuhälter. Ein Zyniker würde sagen, die Gauner, Huren und Zuhälter seien geblieben. Nur tragen sie heute Maßanzüge und Chanel-Taschen.
    Heute
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