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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Autoren: Urs Wälterlin
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wird, sieben junge Menschen aufs grausamste abgeschlachtet zu haben, jeden Tag im grauen Geschäftsanzug auf einer Holzbank und starrt gelangweilt zum vergitterten Fenster hinaus. Ich muss mich mehrmals zwingen, nicht einzuschlafen, als Polizisten aufzählen, wie viele hundert Einsatzkräfte beim Durchsuchen des Belanglo-Staatsforstes eingesetzt waren. Dann kommen die ersten Zeugen. Endlich Menschen statt Daten und Fakten. Herbert Schmidl ist aus Regensburg angereist. Der Vater der 21-jährigen Simone, die laut Anklage mit vielen Messerstichen getötet wurde. Als Schmidl mit seiner Aussage fertig ist und aufsteht, wendet er sich Milat zu. Er ballt seine Faust und hält sie vor sein Gesicht. Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtet wohl jeder im Raum, Schmidl würde Milat angreifen. Doch der Busfahrer aus Regensburg stürmt aus dem Gericht, Tränen in den Augen. Er ist ein gebrochener Mann. Milat schaut ihm nach, mehr überrascht als verängstigt. Dann senkt er den Kopf.
    Mittagspause. Journalisten, Zeugen und interessierte Jurastudenten gehen ins nur wenige Meter neben dem Gericht liegende Geschäftszentrum von Campbelltown. Langsam gehe ich an den Schaufensterscheiben der Liegenschaftenverkäufer vorbei. Dutzende von Bildern mit den Beschreibungen von Häusern und Wohnungen sind ausgehängt. Ich bin froh um jede Ablenkung und beginne zu lesen. »Einfamilienhaus, zwei Schlafzimmer, Küche, Büro – 142 000 Dollar«. »Eigentlich gar nicht so teuer«, denke ich. Beim nächsten Immobiliengeschäft steht ein junger Verkäufer in der Türe. Er hat mich beobachtet. »Hallo, mein Name ist Stephen. Mieten Sie?«, fragt er, als ob er meine Gedanken lesen könnte. »Wenn Sie die Miete zur Abzahlung einer Hypothek verwenden würden, hätten Sie zum Schluss ein Haus.«
    Wieder ein Satz, der unser Leben verändern sollte.
    Am selben Abend fassen Christine und ich den Beschluss, das Leben als Mieter gegen das von Hypothekensklaven einzutauschen. Nach nur zwei Ortsbesichtigungen entscheiden wir uns für das Einfamilienhaus, dessen Ausschreibung ich vor ein paar Tagen im Schaufenster gesehen hatte. Es liegt in einem ruhigen Stadtteil von Campbelltown und hat einen Garten und eine Garage. Der Erwerb eines Hauses ist in Australien relativ einfach, der Kaufablauf standardisiert. Kein Wunder: Australier kaufen und verkaufen im Verlauf ihres Lebens durchschnittlich siebenmal eine Bleibe. »Real Estate« – der Immobilienhandel – ist eine Multimilliardenindustrie. Häuser und Wohnungen werden nur in den seltensten Fällen privat verkauft, sondern fast immer über einen Makler.
    Der Käufer hat fast immer einen Anwalt, der die Besitzverhältnisse der verkaufenden Partei überprüft. Vor allem muss der Jurist auf mögliche Probleme oder Schwierigkeiten mit dem Zugang zum Grundstück hinweisen. Oder er müsste zumindest, wie wir Jahre später feststellen sollten.
    Die größte Herausforderung beim Hauskauf ist in der Regel, eine Hypothek zu erhalten. Von einer Bank. »Sie sind selbstständig erwerbender Journalist?«, fragt mich Nick von der St. George Bank, als Christine und ich unsere Unterlagen vorlegen. »Vergessen Sie es.« Er lehnt sich gelangweilt in seinem Plastikstuhl zurück und rückt sich den Knoten seiner grellroten Krawatte zurecht. Nach drei weiteren Versuchen haben wir endlich bei der National Australia Bank Erfolg: das Geld ist auf dem Konto. »Nun sind wir für Jahre im Klammergriff dieser Wegelagerer«, sage ich zu Christine, mit einem Anflug von Existenzangst. Schweißgebadet schrecke ich in der Nacht aus dem Schlaf. Vor meinem geistigen Auge rechne ich die Zahl der Zeitungsartikel aus, die ich schreiben muss, um 100 000 Dollar zu verdienen. 1000, 10 000, 5000? »Schatzi, wir haben Scheiße gebaut!«, jaule ich. Doch Christine, mit ihrer Rationalität, mit der sie mich in den kommenden Jahren noch viele Male vom Rand des Wahnsinns zurückholen sollte, findet die richtigen Worte. »Schau, Spatzl, manchmal muss man halt ein Risiko eingehen, um etwas zu schaffen«, meint sie. »Schließlich wären wir ja sonst gar nicht hier.« Dann dreht sie sich um und schläft wieder ein.

KAPITEL 3
    »Bist du wahnsinnig?!« Dave schaut mich an, als hätte ich in Volltrunkenheit am Roulettetisch das Familienvermögen auf Schwarz gesetzt. »Wie kannst du nur die Schweiz gegen Australien eintauschen?« Seit drei Wochen wohnen wir in unserem neuen Haus, seit drei Wochen spaziere ich jeden Morgen zu Daves Laden, um meine Zeitungen
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