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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Autoren: Urs Wälterlin
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für eine Woche bei Bekannten, die ich aus der Schweiz kannte, bevor wir unsere Absteige mieteten. Seither hat uns der australische Winter voll im Griff. Wenn das so weitergeht, habe ich in einem Jahr Rheuma. Seit Wochen überlegen wir, ob wir uns richtig entschieden haben. Traumland Australien – Bilder von Sandstränden, roter Wüste, Abendsonne beim Lagerfeuer – das haben wir uns vorgestellt. Jetzt sitzen wir hier vor einem kleinen Heizstrahler, eingewickelt in eine grellrote Decke aus Kunststoff. Jeden Abend starren wir stundenlang in die orangeglühenden Stäbe und fragen uns, ob wir nicht völlig verrückt sind.
    Wir hatten es doch gut in der Schweiz. Christine als Krankenschwester mit Karrierechancen in einem mittelgroßen Krankenhaus, ich als leitender Redakteur in einem Zeitungsverlag. Kein Grund zur Flucht also, und schon gar nicht ans Ende der Welt. Doch der Gedanke, den Rest des Lebens in kleinbürgerlichen Umständen in der Schweiz zu verbringen, ohne vorher noch etwas Spaß gehabt zu haben, war uns zuwider. Wir sind beide immer liebend gerne gereist, von Sibirien bis Fidschi, von Indien bis Kanada. So fiel die Entscheidung: Vor der Familiengründung wollten wir wenigstens einmal noch etwas länger Urlaub machen. Wirklich länger. Zwei Jahre wollten wir weg. Da wir beide Australien von früher kannten, war für uns klar, dass der rote Kontinent unser Ziel sein sollte. Außerdem war für mich klar, dass ich dort am ehesten Chancen hatte, gelegentlich ein paar Berichte an Schweizer Zeitungen zu schicken. Es gab nur wenige deutschsprachige Korrespondenten, die regelmäßig über Australien berichteten. Im Alter von 32 kann man sich nicht einfach für zwei Jahre vom Beruf verabschieden und dann glauben, dass man nach der Rückkehr gleich wieder einen Job bekommt.
    Den Anruf bei der australischen Botschaft in Bern werde ich nie vergessen. Es war der erste Kontakt mit der australischen Bürokratie, die mich auch in den folgenden Jahren immer wieder mal zur Weißglut treiben würde. »Ja klar, es gibt ein Visum für freie Journalisten«, säuselte eine Frau am anderen Ende. »Alles gut«, sagte ich zu Christine. Weit gefehlt. Als ich Tage später wieder anrief und Einzelheiten wissen wollte, erhielt ich genau die gegenteilige Antwort. »Nein, so ein Visum gibt’s nicht«, meinte eine andere Dame. Nach mehrmaligem Hin und Her hatte ich genug von diesem Theater und schrieb einen Brief an den Botschafter. »Könnten Sie mir bitte verbindlich meine Frage beantworten, Ihre Exzellenz?« Irgendjemand wird ja beim Immigrationsdepartement in Canberra nachfragen können.
    Nach vier Wochen endlich ein Anruf. Ich solle doch nach Bern kommen. Das Büro des Immigrationsbeamten war düster, doch der junge Australier chinesischer Abstammung war fröhlich. Und einsam. Und gelangweilt. Er redete ohne Unterbrechung auf mich ein. Auf Englisch. Gut 20 Minuten lang. Er erzählte von einem Ausflug nach Zermatt, von den Trink- und Sexgewohnheiten des damaligen australischen Premierministers Bob Hawke und von der Eiscreme, die zu Hause einfach besser schmecke als in der Schweiz. Und fast beiläufig meinte er: »Nein, ein Journalistenvisum gibt es nicht.« Das hätte er mir auch am Telefon sagen können, dachte ich und wollte aufstehen. Dann kam die Frage, die unser Leben verändern sollte: »Warum wandern Sie nicht aus?«
    Nicht eine Sekunde lang hatten wir bisher erwogen, nach Australien auszuwandern. Wir wollten schließlich nur zwei Jahre lang bleiben und Urlaub machen. Vor allem aber war und ist der Prozess der Einwanderung in Australien wahnsinnig schwierig: jahrelange Wartezeiten, bürokratische Hürden, unfreundliche Beamte, astronomische Kosten und gelegentlich Willkür im Bewilligungsprozess. Nichts, was wir uns antun wollten.
    »Sie hätten aber Chancen, glaube ich«, meinte der nette Beamte. Er senkte den Kopf und begann, die Punkte auszurechnen, die wir brauchen würden, um einen Antrag für eine Einwanderung stellen zu können. Australien hat einen Selbsttest, den jeder Auswanderungswillige machen kann. Nur wenn man eine gewisse Punktzahl schafft, macht es Sinn, überhaupt einen Antrag zu stellen. Berücksichtigt werden Bildung, Berufserfahrung, Alter und verschiedene andere Faktoren. Vor allem Englischkenntnisse. »Da haben Sie die höchste Punktzahl«, meinte der Mann und kritzelte weiter. Wie er darauf kam, dass mein Schulenglisch auch nur ansatzweise den Ansprüchen der australischen Immigrationsbehörde
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