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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Autoren: Urs Wälterlin
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Libyen oder Ägypten – jeder Mediziner, mit dem ich spreche, beklagt sich zumindest über eine subtile Form von systematisierter Fremdenfeindlichkeit. »Obwohl ich besser qualifiziert war, zehnmal besser als mein britischer Kollege, und obwohl ich fünf Jahre mehr Erfahrung hatte, erhielt er sein Ticket sofort«, sagt auch Ahmed, ein Pakistani, der für ein paar Monate in der Praxis meiner Hausärztin arbeitete. Etwas Gutes allerdings hat die Situation. Wer in Sydney auf der Straße mit einem Herzinfarkt umkippt, hat gute Überlebenschancen. Es gibt in keiner anderen Stadt der Welt mehr Taxi fahrende Ärzte.
    *
    Die morgendlichen Gespräche mit Dave sind ein wichtiger Bestandteil meines Tages. Seine Ideen, seine Lebenseinstellung, seine Vorurteile und Hasslieben – sie tragen wesentlich zu meinem Bild von Australien bei, das ich auch an meine Zeitungen weitergebe. Campbelltown ist so typisch australisch, dass Statistiker den Vorort als eine Art Konzentrat des ganzen Landes sehen.
    In Orten wie Campbelltown wird deutlich, wie rasant sich das Gesicht australischer Großstädte wandelt, allen voran der größten, Sydney. 100 Meter von unserem Haus entfernt steht ein Zaunpfosten, aus schwerem handgesägten Hartholz, mit verrosteten Nägeln und Drahtresten, so wie Zaunpfähle in Australien noch heute millionenfach verwendet werden – auf dem Land, im Outback. Der Pfahl ist ein Relikt aus einer anderen Zeit, als Campbelltown noch ein Kaff im »Busch« war, Lichtjahre entfernt von der Hektik der Großstadt. »Vor 40 Jahren haben wir in Campbelltown Ferien auf dem Land gemacht«, erzählt mir John, der australische Mann einer Kollegin. »Es gab nur Kühe und Schafe und Herden von Kängurus.« Doch das expandierende Sydney verleibt sich immer mehr Land ein, so dass das ehemalige Bauerndorf Campbelltown heute Teil des Konvoluts ist. 2012 lebten in Sydney 4,3 Millionen Menschen, und jeden Tag kommen mehr dazu. »Sydney ist voll«, hatte im Jahr 2000 der damalige Premier Bob Carr gewarnt. Niemand hörte auf ihn.
    Der Bedarf an Wohnraum ist enorm. Das zeigt sich nicht nur bei Eigenheimen. Auch an Wohnungen herrscht ein dramatischer Mangel, vor allem in den inneren Stadtteilen, dort, wo der Zugang zum Zentrum, zu den Arbeitsplätzen, am besten ist. Potentielle Mieter warten oft monatelang, bis sie eine Wohnung finden. Jeden Samstag, wenn Liegenschaftenmakler die wenigen freien Mietwohnungen in ihrer Suburb für eine Stunde zur Inspektion öffnen, stehen Dutzende von Interessenten an, manchmal Hunderte. Der prekäre Mangel an Wohnraum hat die Preise für Mietwohnungen in den letzten Jahren in stratosphärische Höhen schießen lassen. Die wöchentliche Durchschnittsmiete in Sydney lag 2012 bei 351 Dollar, 40 Prozent mehr als sechs Jahre zuvor und deutlich über dem Landesdurchschnitt von 285 Dollar. Vor ein paar Jahren waren Gerüchte in Umlauf, einzelne Makler würden von Interessenten Geld verlangen, um sie auf der Liste der Anwärter nach oben zu rücken. Oder Sex.
    Christine ruft mich an. Sie ist in Tränen aufgelöst. »Die machen mich fertig«, klagt sie. Vor acht Wochen hatte sie einen Job in einem großen Hotel in Coogee angenommen, einem der schönen Strandvororte Sydneys, als Zimmermädchen. Klos putzen, Spiegel wischen. Ein heftiger Karriereknick. Christine hatte lange nach einer Stelle in einem Krankenhaus gesucht, vielleicht als Schwesternhilfe. Das wäre ideal gewesen, als Ergänzung zum Studium für ihre Prüfung. Doch es gab nur Absagen. Dann ging sie zum Hotel. »Sie können morgen anfangen«, meinte die Reinigungsverantwortliche Frau L., eine Schweizerin – ausgerechnet – mit hochtoupiertem Haar. Als ob sie sich und ihren Angestellten täglich beweisen wollte, dass sie es geschafft habe und ihre Untergebenen nicht, machte sie es sich zur Angewohnheit, ihr Team von sieben Zimmermädchen zu quälen.
    »Ich habe es wieder nicht geschafft«, schluchzt Christine. Ich koche vor Wut. Es ist nicht das erste Mal, dass ich zum Hotel gehen und mir Frau L. vorknöpfen möchte. »Nicht geschafft« hat Christine die Reinigung von 16 Zimmern, und das in acht Stunden. Ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man anständige Arbeit leisten will. So schaffte sie es heute nur, 14 Zimmer zu putzen. Kein Wunder: Zwei der Räume glichen einem Schlachtfeld. »Eine Mannschaft von Rugbyspielern hat eine Orgie gefeiert«, meint Christine unter Tränen. Zerrissene Bettlaken, literweise ausgelaufener Alkohol, Kotze, Kondome.
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