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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold
Autoren: Giles Milton
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    Vorwort
    Das Rumpeln eines Triumphwagens durchbrach die Stille. Das Gefährt war nicht zu sehen, da es auf der anderen Seite der hohen Festungsmauern fuhr, aber man hörte, wie es sich quietschend und ratternd durch die Palastgärten bewegte. Als der Wagen durch das »Tor der Winde« fuhr, war das gedämpfte Geräusch von Füßen und Rädern auf den Steinplatten zu vernehmen.
    Auf dem Paradeplatz rührte sich niemand. Die Garde des Sultans stand in Habachtstellung, die Damaszener-Schwerter blitzten im Sonnenlicht. Die Höflinge hatten sich zu Boden geworfen, die weiten Gewänder theatralisch über den Marmor ausgebreitet. Nur der Wesir, der unter seinem Leopardenpelz litt, wagte es, sich die Schweißperlen von den Augenbrauen zu wischen.
    Die Stille auf dem Platz verdichtete sich, als der Wagen näher kam. Dann erschallte jenseits des Hofs ein wütender Schrei, gefolgt von einem Peitschenschlag. Plötzlich wurde das Getöse lauter und schickte sein Echo durch die Höfe und Gänge. Wenige Sekunden später erschien der vergoldete Triumphwagen von Sultan Mulai Ismail auf dem Paradeplatz. Das Gefährt wurde jedoch nicht von Pferden, sondern von einigen Frauen und Eunuchen des Sultans gezogen.
    Dieses unglückliche Gespann stolperte über den Platz auf die versammelten Höflinge zu, wo der Kutscher endlich die Zügel locker ließ. Als der Sultan vom Wagen stieg, sprangen zwei imposante Schwarze herbei. Einer sorgte dafür, dass die Fliegen dem heiligen Körper Mulai Ismails nicht zu nahe kamen, wobei er unentwegt Floskeln der Ehrerbietung murmelte. Der andere, ein Junge von 14 oder 15 Jahren, spendete seinem Herrn Schatten mit einem Baumwollschirm, den er ständig zwischen den Fingern drehte.
    Dies war das übliche Ritual bei einer Audienz des großen Mulai Ismail, der von seinen Untertanen vollkommene Unterwerfung forderte und streng auf die Befolgung des Protokolls achtete. Doch an diesem schwülen Sommermorgen im Jahr 1716 nahm der Sultan die im Staubliegenden Höflinge kaum wahr. Seine ganze Aufmerksamkeit galt einem Haufen erschöpfter und zerlumpter weißer Männer, die im gegenüberliegenden Winkel des Hofes zusammengetrieben worden waren. 52 barfüßige, erschöpfte Engländer verfolgten stumm und fassungslos das bizarre Geschehen. Sie waren von Korsaren aus Salé auf hoher See gekapert und von der Hafenstadt zu Fuß in die marokkanische Hauptstadt Meknes verschleppt worden, wo nun ihr Sklavenleben beginnen sollte.
    Ihre Geschichte und die Berichte über das Schicksal vieler weiterer Leidensgenossen lösten in ihrem Heimatland Empörung und Entsetzen aus, und ihr Schicksal zeigte, dass die britische Regierung und ihre Kriegsmarine in diesem Konflikt vollkommen machtlos waren. Die Verschleppung dieser Männer war alles andere als ein ungewöhnliches Ereignis: Seit mehr als einem Jahrhundert zerstörten der Menschenraub und der florierende Handel mit Sklaven aus Europa und den nordamerikanischen Kolonien Familien und kosteten Unschuldige das Leben.
    Einer der neuen Gefangenen – John Pellow war der Kapitän der
Francis
– war vor den Gefahren seiner Handelsreise ins Mittelmeer gewarnt worden. Doch er hatte die Warnungen mit der für ihn typischen Forschheit in den Wind geschlagen und war im Sommer 1715 in einem kleinen Hafen in Cornwall in See gestochen, um nach Genua zu segeln. Der siebenköpfigen Besatzung seines kleinen Schiffes gehörte auch sein Neffe Thomas Pellow an, der erst elf Jahre alt gewesen war, als er seinen Eltern und seinen beiden Schwestern Lebwohl gesagt hatte, um zur See zu fahren. Es sollten viele Jahre vergehen, bis seine Eltern etwas über den Verbleib ihres Sohns erfuhren.
    Am selben Tag wie die
Francis
waren noch zwei weitere englische Schiffe gekapert worden. Kapitän Richard Ferris von der
Southwark
war bei dem Versuch, die Besatzung der
Francis
vor den Korsaren zu retten, ebenfalls in Gefangenschaft geraten. Dasselbe Schicksal hatte die
George
ereilt, die wie die
Francis
auf dem Rückweg nach England gewesen war. Nun standen die verängstigten Seeleute dieser drei Schiffe Seite an Seite im Hof des Palastes von Meknes.
    »Bono! Bono!«, schrie der Sultan, als er seine neuen Sklaven begutachtete. Er kniff in ihre Muskeln und prüfte ihren Körperbau. Die Gefangenen hatten sich noch nicht von der Behandlung erholt, die ihnen seit ihrer Ankunft in Meknes zuteil geworden war. Die Bewohner der Hauptstadt hatten sich bei den Palasttoren versammelt, um sie zu misshandelnund zu
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