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Weiß (German Edition)

Weiß (German Edition)

Titel: Weiß (German Edition)
Autoren: Harper Ames
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Simon war vorsichtshalber einen Schritt zurückgewichen und begutachtete Galen nun skeptisch.
    „Deine Mutter, Lewin. Wann hast du zum letzten Mal deine Mutter gesehen? Du erinnerst dich nicht, hm?! Kommt dir das nicht komisch vor? Du lebst mit ihr zusammen in eurem Haus, aber du kannst dich nicht daran erinnern, wann du sie das letzte Mal gesehen hast? Ich kann dir erklären, woran das liegt. Manche deiner Erinnerungen waren emotional so stark aufgeladen, dass es uns nicht ratsam erschien, mit ihnen zu operieren. Wir haben versucht, dich ihr Fehlen so gut es ging nicht spüren zu lassen. Und offensichtlich ist uns das gelungen. Du erinnerst dich nicht, oder?“
    Galen blickte Lewin auffordernd an. Was war hier nur los? Von einer Sekunde auf die andere konnte Lewin sich wirklich nicht mehr daran erinnern, wann er seine Mutter zum letzten Mal gesehen hatte. Das war doch unmöglich! Das, was Galen ihm hier erzählte, konnte unmöglich wahr sein!
    „Überleg doch mal, Lewin. Wenn du in dieser Stadt einen Raum betrittst, in dem du noch nie zuvor gewesen bist, sieht er dann nicht genau so aus, wie du ihn dir vorgestellt hast? Das alles hier entspringt deiner Vorstellung, Lewin. Zum Beispiel dieser Laden deines Freundes sieht exakt so aus, wie du ihn in deiner Erinnerung abgespeichert hattest. Ursprünglich stammt die Vorlage aus einem Kinofilm, den du als Kind gesehen hast. Selbst das Detail mit diesen kleinen Holzfiguren haben wir eingebaut. Oder nimm zum Beispiel mich: Ich sehe haargenau so aus, wie du willst, dass ich aussehe! In Wirklichkeit bin ich nicht klein und dick. Ich bin groß, hager und habe ziemlich volles, dunkles Haar. Dieses Bild entsprach aber nicht deiner Vorstellung von einem vertrauensvollen Arzt, also habe ich mich verändert. Du musstest mir vertrauen, Lewin, denn ich war darauf angewiesen, dass du mir Bericht erstattest. Bei unseren Sitzungen, hast du mir verschiedene Informationen geliefert, die extrem wichtig für das Projekt sind. Dabei ging es nicht nur um deine Gefühle und Gedanken, sondern auch um deine Erfahrungen mit der Stadt und ihren Bewohnern. Das alles hat so viel über dein Unterbewusstsein ausgesagt. Ich habe so viele Daten, dass ich Jahre dafür brauchen werde, um sie alle auszuwerten. Das Problem ist nur, dass das alles hinfällig wird, wenn du jetzt diese Stadt zerstörst! Dann wird dieses Experiment als gescheitert angesehen werden und wir verwirken all unsere Chancen. Ich werde meine Arbeit abbrechen müssen und du wirst wahrscheinlich niemals eine Chance auf Heilung haben. Ich weiß, dass du für die toten Katzen verantwortlich bist. Ich weiß nicht, wie du es anstellst, aber dadurch, dass dies alles hier nur in deinem Kopf existiert, bist du in dieser Welt quasi Gott. Ich bitte dich aber, Lewin, um Himmels Willen, zerstöre diese Stadt nicht! Lass uns in Ruhe darüber nachdenken, was hier passiert ist. Lass und miteinander reden und dann versuchen wir gemeinsam, eine Lösung zu finden. Ich bitte dich, schmeiß nicht einfach alles hin. Auch dir selbst zuliebe!“
    Hoffnungsvoll schaute Galen erst zu Simon und dann zu Lewin. In Lewins Verstand arbeitete es. Heilung? Was für eine Heilung? Er musste die letzte Frage laut gestellt haben, denn Galen räusperte sich und schickte sich an zu antworten, als plötzlich ein Schrei durch die Nacht fuhr. Lewin wandte gemeinsam mit allen anderen den Kopf, so gut ihm das möglich war und zog überrascht die Augenbrauen hoch. Durch die erstaunte Menge bahnte sich nun Lydia einen Weg, die dabei keineswegs zimperlich mit ihren Ellenbogen umging.

Acht
    Durch Lewins Herz glitt ein hoffnungsvoller Seufzer. Lydia würde ihm helfen. Sie würde ihn von diesem verdammten Baum herunterholen und all dem hier endlich ein Ende bereiten. Diese Farce konnte doch unmöglich noch länger andauern.
    Lewins Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das gefror, als Lydia sich ihm näherte. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Was ihm vorhin auf der Bank noch wie das Gesicht eines Engels vorgekommen war, wirkte nun seltsam verzerrt und beunruhigend. Wut stand in Lydias Augen. Sie schnaubte, als sie sich durch die Menge boxte und ihre Lippen kräuselten sich vor Ekel. Hätte Lewin noch vor wenigen Stunden alles dafür gegeben, dass Herz dieser Frau zu erobern, so bereitete ihm ihr Anblick jetzt deutliches Unbehagen.
    Energisch trat Lydia auf Galen zu und deutete mit der ausgestreckten Hand auf Lewin, der immer noch hilflos an seinem Baum hing. „Seid ihr jetzt
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