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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache
Autoren: S Kronenberg
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hast du dir herangezaubert!
    Die Jahre bei der Polizei hatten ihre Instinkte geschärft. Dass dieser Mann kaum als Musterschwiegersohn durchgehen würde, bedurfte allerdings keiner geschulten Menschenkenntnis. Er hatte etwas Heimlichtuerisches an sich, und seine offensichtliche Nervosität hätte die Frage aufgeworfen, ob der Wagen gestohlen sein mochte, falls irgendjemand einen uralten BMW stehlen wollte. Die Motorhaube war zerbeult, und bei einem Scheinwerfer brannte nur das Standlicht. Bei näherer Betrachtung konnte selbst in dunkler Nacht die Frage aufkommen, womit der Gutachter des TÜV bestochen worden war. Oder bedroht?, überlegte sie mit stillem Spott. Ein Mann mit der Statur ihres potenziellen Retters besaß eine gewisse Überzeugungskraft. Er war, wie sie erkannte, als er ihr nun entgegen trat, kaum größer als sie mit ihren 1,75 m, aber kräftig und untersetzt und bewegte sich so geschmeidig wie ein geübter Sportler. Die Art, wie er die Arme leicht abspreizte, ließ darauf schließen, dass er einen Kampfsport betrieb. Und er wirkte nicht wie der Typ, der sich mit strikt geregeltem Judo begnügte.
    Du hast es so gewollt, Norma Tann!
    Sie blickte ihm entgegen, begegnete seinem abschätzigen Blick, mit dem er ihr wortlos die Taschenlampe aus der Hand nahm. Er richtete den Lichtkegel auf den Wagen; zu ihrer Verblüffung mit einem leisen Lachen.
    »Ich hatte mit einem Totalschaden gerechnet. So irre, wie Sie auf der Straße herumgehüpft sind.«
    Der warme Klang seiner Stimme vertrieb die Gespenster.
    »Das Ergebnis einer Fehleinschätzung«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Ich wollte hier wenden.«
    »Haben Sie sich verfahren?«
    »Ich suche meinen Mann. Ihnen ist nicht zufällig ein Fußgänger aufgefallen?«
    Er bückte sich nach einem Stock, der unter einem Hinterreifen steckte, und ruckte daran herum. »Mir ist niemand begegnet außer einer Lebensmüden, die sich mir vor den Wagen warf! So, jetzt versuchen Sie es noch einmal.«
    Er räumte einen Stein aus dem Weg, während sie den Wagen erneut startete und den ersten Gang einlegte. Im Rückspiegel erschien sein Rumpf wie ein Schattenriss und verdeckte die Hände, die er gegen die Scheibe presste. Ein Ruck, und der Wagen war frei. Sie wollte aussteigen, aber er bedeutete ihr durch ein Winken, gleich weiter zu fahren. So rief sie ihm nur einen Dank zu, bevor sie den Blinker setzte und in Richtung Wiesbaden abbog.
    RÜD – WW und eine dreistellige Zahl, die sie ebenso wenig vergessen würde wie die Buchstaben des Kennzeichens für den Rheingau-Taunus-Kreis, Wiesbadens ländlichen Nachbarkreis. Seit sie ein Kind war, setzten sich Buchstaben- und Zahlenkombinationen ungefragt in ihrem Kopf fest, und Arthur, der sich kaum die eigene Telefonnummer merken konnte, neidete ihr dieses Talent.
     

3
    Samstag, der 19. August
     
    Norma träumte. Arthur verfolgte sie durch die Nacht. Er schleuderte eine riesenhafte Leuchte nach ihr und traf ihren Magen. Eine warme Last breitete sich auf ihrem Bauch aus, die nicht nachlassen wollte. Als sie erwachte, blickte sie geradewegs in runde Bernsteinaugen. Die schwarzen Pupillen hatten sich im Morgenlicht zu senkrechten Schlitzen zusammengezogen. Ein grollendes Knurren drang an ihr Ohr, und das Gewicht geriet ins Wanken, als ihr Besucher sich eine bequemere Lage suchte. Sie packte die Vorderpranken mit beiden Händen und schüttelte sie sanft: ein Begrüßungsritual, das ihn wie immer in Entzücken versetzte. Das Grollen schwoll an, und die ledrigen Sohlen stemmten sich gegen ihre Handflächen. Er hatte sich durch das Dachfenster eingeschlichen. Bei ihrer nächtlichen Heimkehr war sie von einer stickigen Schwüle empfangen worden und hatte im Vertrauen darauf, dass weitere Gewitterschauer ausbleiben würden, die Dachfenster aufgemacht und für Durchzug gesorgt. Nun schien die Sonne auf das Bett und überzog den Pelz des Kartäuserkaters mit einem blaugrauen Schimmer. Norma vergrub die Finger in seinem Fell und sah zum Radiowecker hinüber. Kurz nach sieben. Sie schloss die Augen und wollte, bevor sie aufstand, noch eine Viertelstunde dem genüsslichen Schnurren lauschen und den aufgeregten Morgengrüßen der wilden Papageien, die gerne in den Platanen übernachteten. Die Vögel vertrugen das milde Klima am Rhein so gut, dass mehrere 100 Exemplare verschiedener Großsittich- und Papageienarten Wiesbadens Parkanlagen bevölkerten, hatte Norma von ihrer tierlieben Vermieterin erfahren. Die grünen Halsbandsittiche bildeten
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