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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache
Autoren: S Kronenberg
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durch das Fenster.«
    »Du hast eine Katze?«
    »Nein, nicht ich, meine Vermieterin.«
    »Was wolltest du mir über Arthur erzählen?«
    »Lass uns später darüber reden. Bis nachher!«
    Norma wollte sich um ihren Fuß kümmern. Auf dem Bettlaken zeigten sich die ersten Blutflecken. Leopold hockte mit angezogenen Pranken auf dem Schrank und schmollte. Auf dem Weg ins Bad fühlte sie sich von seinen Blicken verfolgt. Als sie wieder herauskam, erwartete er sie auf der Schwelle.
    Sie bückte sich zu ihm herab. »Frieden?«
    Er maunzte, was sie als Einverständnis deutete. Das Frühstück nahmen sie gemeinsam in der Küche ein. Sie hielt immer sein Lieblingsfutter bereit; das einzige Fleisch, das ihr als Vegetarierin in den Kühlschrank kam. Sie hatte mit 15 Jahren beschlossen, keine Tiere mehr zu essen, und damit die Mutter vor den Kopf gestoßen, die nicht akzeptieren wollte, dass die eigene Tochter den auf dem Hof produzierten Schweinebraten verschmähte. Ihr Bruder Folke, der den Betrieb gemeinsam mit der Mutter führte, zeigte ebenso wenig Verständnis.
    Während Leopold seinen Napf ausschleckte, als hätte er seit Tagen gehungert – ein deutlicher Widerspruch zu seiner Linie – wollte sie Arthur anrufen, bekam über jeden Anschluss aber nur seine gespeicherte Stimme zu hören.
    Das Rasierwasser fiel ihr ein. Von einer Kundin hatte er es bestimmt nicht bekommen. Deren Geschenke, die ihm hin und wieder aufgedrängt wurden, versenkte er gewöhnlich in den hintersten Schubladen seines Aktenschranks. Hatte er eine neue Liebe? Die Vorstellung weckte ihre Eifersucht; ein verschwendetes Gefühl, war sie doch diejenige gewesen, die die Trennung gewollt und herbeigeführt hatte.
    Finde dich damit ab. Du bist gegangen. Und er ist dir keine Rechenschaft schuldig. In den vergangenen Wochen hatten sie oft tagelang nichts von einander gehört.
    Es gab keinen Grund, sich Gedanken zu machen.
     

4
    Lutz Tann achtete auf seinen Atem, der am Ende der Laufstrecke ins Stocken geraten wollte, und umrundete im stetigen Schrittmaß die Mulde, die wie ein angedeutetes Amphitheater in die Wiese gegraben war. Danach hielt er in gerader Linie auf das weiße Tempelchen am Ende der Lichtung zu. Erst als er die Stufe hinaufgesprungen war, erlaubte er sich anzuhalten. Nach Luft schnappend, stützte er sich gegen eine Säule und schaute, solange er mithilfe des freien Arms den Oberschenkel dehnte, auf die Stadt hinunter, die sich unterhalb des Nerobergs ausbreitete: ein Mosaik aus Dächern, Straßenzügen und Kirchtürmen und hineingetupft das Grün der Gärten und Parkanlagen. Er wechselte die Seite und dehnte die Muskeln des anderen Beins, ohne den Blick von der Aussicht zu lassen. Das Gewitter der vergangenen Nacht hatte die Luft gewaschen. Er genoss den Ausblick wie eine Belohnung für die Anstrengungen nach der langen Runde durch den Rabengrund. Ein Schlenker hatte ihn an der Leichtweishöhle vorbeigeführt, in der zum Ende des 18. Jahrhunderts der des Wilderns beschuldigte Wiesbadener Bäcker Heinrich Anton Leichtweis gehaust haben soll. Der Streifen der Biebricher Allee, auf den Seiten von Bäumen gesäumt, deren Kronen aus der Ferne zu grünen Bändern verschmolzen, lenkte seinen Blick auf den im Sonnenlicht silbrig schimmernden Lauf des Rheins und darüber hinaus auf das sich hinter dem Strom ausbreitende Häusermeer der Stadt Mainz, Wiesbadens ebenso ungeliebte wie unentbehrliche Nachbarin.
    Sein Atem hatte sich beruhigt. Das Herz pumpte wieder stark und gleichmäßig im Ruhewert. Er war topfit, kein Zweifel, und würde so manchem Jüngeren davonlaufen, trotz seiner 59 Jahre. Bislang noch 59. Die 60 näherte sich unaufhaltsam. Obwohl er sich damit tröstete, das sei nur eine Zahl, mehr nicht, es zählte das gefühlte Alter, das bei ihm höchstens Mitte 40 betrug, nicht das Alter auf dem Papier: 60 blieb 60. Im kommenden Monat, Ende September, stand ihm der Tag der Tage bevor. Er hatte keine Lust auf eine Feier, aber was blieb ihm anderes übrig bei seinen Verpflichtungen? Ludwig Wilhelm Tanns 60.Geburtstag würde ein rauschendes Fest werden!
    Er zog das Stirnband vom Kopf und genoss den Luftzug, der den Schweiß trocknete, als er sich vom Monopteros abwandte und über die Wiese hinüber zur Bahnstation schlenderte. Der sonnige Samstagvormittag lockte die ersten Besucher hinauf auf Wiesbadens Hausberg, und wer den kurzen Anstieg scheute, konnte sich von der Nerobergbahn bequem hinaufbringen lassen. Der gelbe Waggon kroch Lutz
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