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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache
Autoren: S Kronenberg
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strömen. Familien und Freunde drängten sich zwischen den Buden, die sich dicht an dicht vom alten Rathaus und entlang des Landtags bis zur Marktkirche zogen, deren rote Backsteinmauern in der Morgensonne wie Kupfer glänzten. Wer an den langen Tischen einen Platz ergattern konnte, gab ihn so bald nicht wieder auf. Hinter dem Rathaus bot der freie Platz des Dernschen Geländes den Verkaufsbuden mehr Raum. Doch auch hier waren bereits die meisten Tische und Bänke besetzt. Das Weinfest galt als beliebter Anlass zu einem Treffen mit Verwandten und Bekannten ebenso wie mit Geschäftspartnern und Kollegen, und man ließ sich den Riesling schon am Vormittag schmecken.
    Gegen halb 12 machte man sich in allen Ständen, die Snacks und warme Mahlzeiten anboten, auf den bevorstehenden Mittagsansturm gefasst. Gabi hatte aus der Küche des ›Räuber Leichtweis‹ einen Tagesvorrat an Handkäs und grüner Soße samt der Kartoffeln he-ranschaffen lassen und zeigte den beiden Studentinnen, wie die Portionen zu verteilen waren, während Norma schon einmal Teller und Besteck bereitstellte. Der Fußboden in Brunos Verkaufswagen lag um drei Tritte erhöht, und so bot sich Norma, wenn sie von ihrer Arbeit aufsah, über die Köpfe der Besucher hinweg ein freier Blick auf den Stand des ›Wiesbadener Kuriers‹ vor den Stufen der breiten Rathaustreppe. Unter den zwei Damen und vier Herren, die zu dieser Stunde im Einsatz waren, hatte sie einen Bundestagsabgeordneten und einen Wiesbadener Galeristen erkannt. Bruno blieben nur noch wenige Minuten, bis sein karikativer Dienst begann. Am frühen Morgen hatte er sich am eigenen Stand blicken lassen und war, wie an den anderen Tagen auch, im Handumdrehen verschwunden, um im ›Parkhof‹ nach dem Rechten zu sehen.
    Norma bückte sich nach einer Gabel. Als sie sich wieder aufrichtete, entdeckte sie Bruno auf der Rathaustreppe. Langsam stieg er die Stufen hinunter: Ein behäbig und schwerfällig wirkender Mann, dessen flinke Beweglichkeit man leicht unterschätzte. Am Stand kam es zu einem Gedränge, bis Bruno und seine Kollegen und Kolleginnen auf Zeit die Plätze eingenommen hatten. Die Studentinnen diskutierten tuschelnd, ob die Fernsehredakteurin so attraktiv war wie auf dem Bildschirm.
    Bruno lächelte matt und winkte den Menschen ringsherum linkisch zu. Bereits am Morgen war er Norma auffallend unruhig vorgekommen. Nun zeigten seine runden, sonst rötlichen Wangen eine ungewöhnliche Blässe. Unablässig fuhr er sich mit einem Taschentuch über den Nacken. Die Einladung des ›Kuriers‹ erfüllte ihn mit Genugtuung; darin war sich Norma sicher. Aber seine Nervosität ließ sich damit nicht erklären. Etwas anderes musste ihm zu schaffen machen. Fischers Verrat vielleicht?
    Für den Architekten wurde es höchste Zeit, seinen Dienst anzutreten. Endlich entdeckte Norma in der Menge die schlanke Gestalt mit den hellen aufgebürsteten Haaren und einem jungenhaften Lächeln. Moritz Fischer eilte dicht an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken – oder bemerken zu wollen – und bahnte sich, unermüdlich um Entschuldigung bittend, gegen den Besucherstrom einen Weg zum Prominentenstand. Dort wurde er von einer Dame hineingebeten. Sie schien von ihrem Gast entzückt. Moritz Fischer war es in den vergangenen Wochen, vor allem dank der ›Villa Stella‹, öfter denn je gelungen, sich ins Gespräch zu bringen. Eilfertig verteilte er Küsschen unter den Damen und reichte den Männern die Hand. Bruno blickte auf seine Finger, als hätte er sich am Herd verbrannt, und würdigte den Architekten danach keines Blickes.
    Normas Beobachtungen wurden von einem jungen Paar unterbrochen. Sie nahm die Bestellung auf und richtete zwei Portionen Kartoffeln mit grüner Soße an. Kaum hatte sie die Teller weitergereicht, wurde sie von einem adrett frisierten Lockenkopf angesprochen.
    »Hallo, Norma. Wie gehts denn so?«, säuselte Diane Fischer.
    Norma durfte sicher sein, an ihrem Wohlergehen war niemand weniger interessiert als Diane. Es musste ihr ein diebisches Vergnügen bereiten, Norma in Brunos Bude schuften zu sehen. Man konnte nicht sagen, dass die elegante Frau nicht arbeiten wollte. Sie war außerordentlich fleißig. Allerdings, wie sie niemals zu betonen vergaß, ausschließlich im schöpferischen Bereich und vorzugsweise im Architekturbüro ihres Mannes Moritz. Für ihre Entwürfe hatte sie zahlreiche Preise erhalten. In die Tat umgesetzt worden war bisher kaum eine der anspruchsvollen Ideen.
    »Weißt du,
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