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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache
Autoren: S Kronenberg
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die größte Population.
    Das Klingeln des Telefons mischte sich in das Kreischen der Vögel. So zeitig? Das musste Arthur sein! Ein weiterer Punkt in der Liste seiner schlechten Angewohnheiten. An diesem Morgen war ihr der Anruf willkommen. Der Streit in der Nacht hätte nicht sein müssen, jedenfalls nicht in dem Ausmaß. Im sanften Morgenlicht und mit dem schnurrenden Kater auf den Knien erschien es ihr, als hätte sie völlig überzogen reagiert.
    »Entschuldige, Poldi!«
    Sie hob den Kater hoch, der sich widerspenstig in die Bettdecke krallte. Norma beförderte ihren Gast ans Fußende, bückte sich gähnend und tastete auf dem Teppich nach dem Telefon, bis sie es unter dem Bett entdeckte.
    »Arthur! Guten Morgen!«
    »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss«, lautete die Antwort.
    Bruno. Dass er schon am frühen Morgen so angespannt klang! Er nimmt sich zu viel auf einmal vor, dachte sie mitfühlend. Seit Agnieszka ihn verlassen hatte, vergrub er sich in Arbeit. Die junge Polin war seine zweite Frau. Auch die erste Ehe war schief gegangen. Und nun kam auch noch der Ärger mit Moritz Fischer dazu.
    Sie lächelte aufmunternd, als stünde er ihr gegenüber. »Hallo, Bruno! Es ist nur … ich hatte gestern Abend Krach mit Arthur.«
    »Wann habt ihr keinen Streit? Du nimmst zu wenig Rücksicht auf ihn, Norma!«
    Als sie ihn fragte, ob er Arthur in der Nacht abgeholt habe, zeigte er sich verwundert. Er habe seinen Freund nirgendwo hingefahren, entgegnete er. Sie hätten auch nicht miteinander telefoniert, fügte er unwirsch hinzu und kam auf den Grund seines Anrufs zu sprechen. Ob sie ihren Dienst eine Stunde früher antreten könnte? Für diesen Samstag, den vorletzten Tag der Weinwoche, sei mehr als gewöhnlich vorzubereiten.
    Er rechnete demnach mit einem guten Geschäft. Norma vergrub die Zehenspitzen im Pelz des Katers, der sich unwillig mit dem Fußende begnügte. Eigentlich wollte sie sich mit dem Yogabuch beschäftigen und vor der Fahrt in die Stadt die ersten Übungen ausprobieren. Die Geschmeidigkeit der Katzen faszinierte sie von jeher, und mit Leopolds täglichem Beispiel vor Augen fand sie es an der Zeit, mehr für die eigene Beweglichkeit zu tun. Außerdem sollte Yoga viel Größeres bewirken, als die körperliche Fitness zu verbessern. Das versprach jedenfalls das Buch.
    Bruno wartete auf eine Antwort. Er könne sich selbst nicht um den Stand kümmern, erklärte er ungeduldig.
    Nach vergeblichen Bemühungen in den vergangenen Jahren hatte Bruno bei diesem Weinfest endlich den Sprung in die Riege jener prominenten Bürger geschafft, die auf dem Weinstand des ›Wiesbadener Kuriers‹ Getränke ausschenkten. Die Einnahmen kamen der Organisation ›Ihnen leuchtet ein Licht‹ zugute, die das Geld unter bedürftigen Wiesbadener Bürgern verteilte. Norma dachte an den Menschenstrom, den zwei Tage zuvor der Auftritt des hessischen Ministerpräsidenten herangelockt hatte. Eine gute Stunde seiner Zeit stellte der Landesherr für den guten Zweck zur Verfügung. Den Trubel hatte Norma von ihrem Arbeitsplatz aus ebenso gut beobachten können wie den Einsatz der uniformierten und zivilen Polizeibeamten, die auffällig und unauffällig für die erforderliche Sicherheit sorgen sollten.
    Norma wackelte mit den Zehen, um Leopold zum Spielen zu animieren. Er ging sofort darauf ein und holte zu einem sanften Hieb mit der Tatze aus. Leopold war ein zärtlicher Kater.
    »So ein Pech, dass du am Donnerstag nicht eingeladen warst.«
    Bruno prustete ins Telefon. Er lege überhaupt keinen Wert auf einen Ministerpräsidenten an seiner Seite, log er, und zählte die Namen der Personen auf, die seiner Gruppe zugeteilt waren; darunter eine Redakteurin vom Zweiten Fernsehen, ein Sportreporter und zwei Schauspieler des Staatstheaters.
    »Was ist jetzt? Kann ich auf dich zählen?«
    Die Yogaübungen mussten warten. Sie versprach, pünktlich zu sein.
    »Sag mal, Bruno«, fügte sie vorsichtig an, »Arthur hat mir gestern erzählt … Autsch!«
    Ein stechender Schmerz im Knöcheln ließ sie mitten im Satz stocken. Das Kopfkissen packen und gegen den Kater schleudern, war eine Bewegung. Leopold floh fauchend auf den Schrank. Norma betrachtete den blutenden Streifen, der sich vom großen Zeh bis zum Knöchel zog. Sie hatte Leopold unterschätzt. Sogar in dem behäbigen Kartäuser schlummerte ein Raubtier.
    »Was ist los?«
    »Nur der Kater.«
    »Nimm eine Tablette!«
    Norma lachte. »Dieser Kater kommt nicht vom Wein. Er stieg
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