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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit
Autoren: Unbekannter Autor
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wollte. So hatte ich mir eine Mutter nicht vorgestellt. Ich ließ mir meine Abneigung nicht anmerken. Das Mädchen sagte »Tschüs« und ging. Nun war ich allein, am liebsten hätte ich geweint und gerufen: Bringt mich nach Hause!
    »So«, sagte dann die Mutter, »nun kommt gleich der Vati.«
    Gespannt sah ich zur Tür, wie denn nun der »Vati« aussah. Ich wünschte, er möge netter als seine Frau aussehen. Da kam er herein, groß, mit halber Glatze. Noch nie hatte ich einen Mann ohne Haare gesehen, und fasziniert starrte ich auf seinen Kopf. Frau Hube forderte mich auf, ihrem Mann die Hand zu geben und zu sagen: »Guten Tag, Vati!«
    Ich ging zu ihm, gab ihm die Hand, sagte brav: »Guten Tag«, konnte aber das Wort »Vati« nicht herausbringen. Im Raum war es sehr still, alle warteten auf das eine Wort, selbst ich wartete. Aus meinem Mund kam jedoch kein Laut. Da lachte der Mann und sagte:
    »Ach, weißt du, wenn du nicht Vati sagen willst, mußt du nicht Vati sagen, sondern sagst einfach Onkel.«
    Meine angespannte Starrheit löste sich, und ich fand diesen Onkel viel netter als seine Frau Tantemutter.
    Jedes Wochenende holten sie mich ab, aber eingewöhnen konnte ich mich nie. Mir fehlten die Kinder und das Heim mit seiner Umgebung. Bei den Eltern war ich immer allein. Entweder saß ich am Ofen und spielte mit kleinen Puppen, oder ich mußte ihnen meine Lesekünste vorführen. Dazu ließen sie sich regelmäßig die Kinderzeitung »Frösi« ins Haus schicken.
    Da ich nicht gut lesen konnte und es auch nicht wollte, haßte ich bald diese bunte Zeitschrift und die Wochenenden. Wenn der Freitag nahte, lag ich nachts wach und dachte: Hoffentlich haben sie dich vergessen und kommen nicht. Aber das traf nie zu. Pünktlich um 10 Uhr holten sie mich ab.
    Nur im Sommer war es bei ihnen schöner, da paddelten wir mit den Faltbooten über die Krampe oder den Müggelsee. Die Verwandten meiner Pflegeeltern -Schwester, Mann und Kinder - fuhren auch mit. Sie hatten alle das gleiche Bootshaus, und dort sah ich dann oft meinen Bruder, was mich glücklicher machte, als wenn ich nur mit Erwachsenen zusammen war.
Mein Bruder
    Meinen Bruder lernte ich erst kennen, als ich schon sieben Jahre alt war.
    Mit Hilfe der Erzieher bauten die älteren Kinder ein Wasserbecken. Beim Bau des Beckens standen wir Kleinen in einer Reihe und reichten Steine weiter. Wir nannten es nur Planschbecken, zum Schwimmen war es zu flach, doch zum Baden reichte es. Es hatte die Form eines abgerundeten Dreiecks. Der Wassereinlauf befand sich in der Mitte des Beckens, an der tiefsten Stelle. Vom Schutzgeländer des Wassereinlaufs machten die Jungen Hechtsprünge. Wir Mädchen hatten keine Chance, auf das Geländer zu kommen, weil wir von den Jungs gestukt 1 wurden.
    Auf diesem Geländer sah ich zum ersten Mal meinen Bruder. Mit einer Freundin lag ich auf der Decke, und wir beobachteten neidisch die Jungen. Plötzlich sagte ein Mädchen aus einer anderen Gruppe zu nur:
    »Der gerade da oben steht, ist dein Bruder.«
    »Was«, rief ich erstaunt, »mein Bruder?«
    Ich wußte bis zu diesem Zeitpunkt nichts von einem Bruder. In mir erwachte die Erinnerung an eine Kinderschwester, die mich oft auf ihren Schoß nahm und mir von einer Schwester erzählte, die ich noch habe. Später dachte ich, ich hätte alles nur geträumt.
    Den Jungen schaute ich mir genauer an, er machte einen tollen Hechtsprung. Angeber, dachte ich.
    Neugierig hielt ich es nicht länger auf der Decke aus und lief zu ihm ins Wasser.
    »Wie heißt du?« fragte ich.
    Er sah mich verdutzt an und sagte: »Warum willst du das wissen?«
    »Weil ich vielleicht deine Schwester bin«, antwortete ich.
    »Ich heiße Dieter B.«, rief er aufgeregt.
    »Und ich Ursula B.«
    Wir hatten tatsächlich denselben Nachnamen. Nun fragte er:
    »Wie lange bist du schon im Heim?«
    »Schon immer«, sagte ich.
    Wir gingen zur Decke, unterwegs erzählte er mir, daß er in vielen verschiedenen Heimen war, bis man in seiner Akte entdeckte, daß er noch eine Schwester in Berlin hat. So brachten sie ihn hierher, in mein Heim.
    Endlich war ich nicht mehr ganz allein. Obwohl mein Bruder in einer anderen Gruppe wohnte, fühlte ich mich den anderen Kindern gegenüber sicherer. Die Geschwister im Heim hielten zusammen, nun gehörte ich dazu.
    Dieter bekam die Schwester meiner Pflegemutter als Mutter. Zu ihrer Familie gehörten das große Mädchen, das mich damals aus dem Heim abgeholt hatte, ein Sohn und der Mann. Nun waren wir
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