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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit
Autoren: Unbekannter Autor
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schafften wir es.
    Ich sah Schaufenster, gefüllt bis zum Rand, wie ich sie aus Ost-Berlin nicht kannte. Bei uns gab es die Butter auf Marken. Manchmal schickte mich die Erzieherin aus Zeitmangel in den Konsum. Dort gab ich die Marken ab und erhielt die zugeteilte Butter. Hier in West-Berlin lag sie einfach im Regal, aber am tollsten fand ich die Kaugummiautomaten an den Hauswänden. Vor Begeisterung kam ich aus dem Staunen über so viele schöne Dinge nicht mehr heraus.
    Utes Bruder schenkte uns Geld für Kuchen, den wir uns selbst aussuchen durften.
    Im Bäckerladen bewunderte ich gerade die vielen Sorten von Torten und Broten, da fragte mich die Verkäuferin:
    »Was möchtest du?«
    Stolz zeigte ich auf einen riesigen Liebesknochen. Als sie mein blaues Pioniertuch sah, fragte sie:
    »Bist du Pionier?«
    Aus Angst, sie würde mir keinen Kuchen geben, wenn ich »Nein« sagte, antwortete ich schnell: »Natürlich!«
    Da fing sie laut an zu lachen und sagte verächtlich: »Pioniere bekommen bei mir keinen Kuchen!« Wütend und traurig zugleich verließ ich den Laden und dachte: Scheiß-Olle, sitzt mit dem Arsch in der Sahne und rückt nichts raus!
    Nie wieder habe ich freiwillig das Halstuch getragen, sondern nur zu den Pflichtveranstaltungen im Heim.
Pflegeeltern
    Die ersten Pflegeeltern für das Wochenende bekam ich, als ich noch nicht zur Schule ging. Dort fühlte ich mich nicht wohl. Ich schlief in einem Raum, der vollgestopft war mit alten, dunklen Möbeln. Ein Schrank mit einem großen Spiegel in der Mitte war die einzige Abwechslung für mich. Stundenlang stand ich davor und machte Faxen. Ab und zu öffnete sich die Zimmertür, dann schauten fremde Menschen herein, denen ich als armes Heimkind vorgestellt wurde und brav guten Tag sagen sollte, was ich nicht tat; überhaupt sprach ich nie bei fremden Leuten. Ohne die vielen Kinder fühlte ich mich einsam. Mein Verhalten entsprach nicht den Vorstellungen der Eltern, und sie ließen mich wieder im Heim.
    Mit sechs Jahren bekam ich die zweiten Pflegeeltern. An einem Sonnabendnachmittag hatte ich mich mit einem Mädchen gezankt, und die Erzieherin gab mir nicht recht.
    Vor Wut heulte ich, mir lief die Nase, und ich wollte am liebsten keinen Menschen mehr sehen. Schon bei Christians Unfall hatte ich begriffen, daß es im Heim besser war, keine Gefühle zu zeigen. Nie war man allein, immer stand man unter Beobachtung. Oft verwechselten die Erzieher unsere Gefühlsausbrüche mit Ungehorsam, Frechheit oder Wut. Da kam der Hausleiter und sagte zu mir:
    »Putz dir die Nase, trockne deine Tränen, sei jetzt schön lieb und komm mit in mein Büro, deine Eltern sind da.«
    Vor Schreck vergaß ich das Heulen, aber dann fiel mir ein, daß ich ja keine Eltern hatte. Ich ließ meine Tränen und die Nase weiter laufen, rutschte trotzig mit dem Rücken an der Flurwand hinunter, setzte mich auf den Boden und sagte:
    »Nee, jarnich!«
    So wie ich war, zog er mich an meiner Hand wieder hoch und ging mit mir zum Büro.
    An einem runden Tisch saßen ein M ann und eine Frau. Sofort spürte ich, daß es nicht meine richtigen Eltern waren, und zeigte ihnen gegenüber kein Interesse. Mit gesenktem Kopf, den Blick auf meine alten Hausschuhe gerichtet, als ob diese alles mir geschehene Unrecht wieder gutmachen könnten, sahen mich die neue Pflegeeltern zum ersten Mal. Es wurde über mich verhandelt und beschlossen, daß sie mich am Wochenende abholen sollten. Mich fragte keiner!
    Die Kinder meiner Gruppe erkundigten sich aufgeregt, wie die neuen Pflegeeltern aussahen; ich wußte es nicht, es war mir auch egal.
    Abgeholt wurde ich dann von der Nichte meiner Pflegeeltern. Ängstlich klammerte ich mich an die Hand des Mädchens. Außerhalb des Heimes, in der großen Stadt fühlte ich mich fremd. Hoffentlich läßt sie mich nicht los, dachte ich, allein würde ich nie mehr ins Heim zurückfinden.
    Mit der S-Bahn fuhren wir nach Lichtenberg. Wir liefen durch ein paar Straßen und standen dann vor einer Tür mit dem Namen »Hube«. Auf unser Klingeln öffnete Frau Hube die Tür.
    »Herein in die gute Stube«, sagte sie, die nun meine neue Mutter werden sollte. Erst als wir im Zimmer standen, sah ich sie mir an. Sie machte einen strengen Eindruck auf mich. Das fade, dunkelblonde Haar trug sie ganz kurz, in leichter Dauerwelle, was ihren strengen Gesichtsausdruck noch mehr unterstrich. Ihre blaßblauen Augen blickten ohne Liebe auf mich herab. Dazu kam ihr schmaler Mund, der verkniffen lächeln
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