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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit
Autoren: Unbekannter Autor
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liegt, mit den Haaren an den Gitterstäben festgefroren. Der vierjährige Bruder hat versucht, den schreienden Säugling mit Wasser aus der Suppenkelle zu füttern, er fand keine Flasche.
    Fast eine Woche sind sie allein gewesen und haben trotz Hunger und Kälte überlebt. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt trennte man die Geschwister und brachte sie in verschiedenen Heimen unter.
Kinderheim
    So bekam ich mit zwei Jahren den ersten Kontakt mit der staatlichen Gemeinschaft. Das Heim, in das man mich brachte, ist das größte Kinderheim in Europa. Es liegt im Süden der Stadt Berlin (Ost) in einem Wald, der Königsheide. Sechshundert Kinder fanden hier eine Unterkunft, ein Zuhause oder was sonst so ein Kind von einem Kinderheim halten mochte.
    Von der Straße, der Süd-Ost-Allee, ist das Heim durch ein schmiedeeisernes Tor, verziert mit Eichhörnchen, zu betreten. Der Hauptweg endet vor der Schule, die dem Tor genau gegenüber steht. Rechts und links des breiten Weges zweigen kleinere Wege zu den Wohnhäusern ab. Große Rasenflächen mit Blumen und Bäumen vollenden die parkähnliche Gestaltung der unmittelbaren Umgebung. Hinter jedem Haus gibt es einen Spielplatz.
    In den Häusern Nummer l, 3 und 4 leben die Kinder, die zur Vorschule oder Schule gehen, in Gruppen. In Nummer 2 beginnt das Heimleben für die Säuglinge.
    Im Wirtschaftshaus mit der Schuster-, Schlosserund Schneiderwerkstatt, der Wäscherei und der Kleiderkammer befindet sich für etwa zweihundert Kinder der Speisesaal. Auch der Heimleiter wohnt dort, und im gleichen Gebäude hat die Fürsorge ihr Büro. Außerdem gehören zum Heim ein Schulgarten, ein Sportplatz, eine Turnhalle und eine Freilichtbühne.
    Im Alter von zwei Jahren machte ich meine ersten Lebenserfahrungen mit der Kinderschwester Sie band mich mit Gurten an das Kinderbett, so konnte ich nicht hinausklettern. Ich weinte oft, denn die Gurte taten weh.
    Besondere Freude schien sie daran zu haben, mich auf ein Schaukelpferd zu setzen. Ich schrie fürchterlich vor Angst, und je lauter ich weinte, desto stärker schaukelte sie mich.
    Mit drei Jahren kam ich in das Vorschulhaus. Dort lernte ich ziemlich schnell, wie einsam Gruppenerziehung machen kann, aber auch, wie ich mich davor schützen konnte. Vor allem zwei Erlebnisse zeigten mir das deutlich.
    Als ich einmal dringend zur Toilette mußte, fragte ich die Erzieherin, ob ich gehen dürfe, denn ohne ihre Erlaubnis durften wir die Gruppe nicht verlassen. Wir spielten auf dem Waldspielplatz, der fünf Minuten vom Haus entfernt lag. Sie sagte:
    »Halt aus, bis wir hineingehen!«
    Ich bettelte so sehr, daß sie mich schließlich doch gehen ließ, aber auf der Treppe machte ich mir in die Hose. Den Rest des Tages lebte ich in Angst davor, daß es jemand merken könnte und ich dafür eine Strafe bekäme. Davor fürchtete ich mich am meisten, denn bestraft wurde immer im Kollektiv. Alle mußten sich um das »böse« Kind stellen und auf das Kommando der Erzieherin »Pfui, pfui« rufen oder ähnliches.
    Mein Unglück war, daß ich meine Sachen nie ordentlich auf den Stuhl legte. Ausgerechnet an diesem Abend hatte ich sie besonders sorgfältig zusammengelegt, den Schlüpfer ganz unten. Dadurch verriet ich mich. Ich stand nackt im Waschraum, als die Erzieherin mit meiner Hose in der Hand hereinkam und in drohendem Ton fragte: »Hast du eingepullert?«
    Vor Schreck und Angst bekam ich kein Wort heraus. Da rief sie alle Kinder in den Waschraum. Sie standen um mich herum, starrten mich an und warteten auf ihren Einsatz. Und dann brüllten alle auf den Befehl der Erzieherin im Chor:
    »Einpuscher, Einpuscher!«
    Das Auslachen und die Beschimpfungen der Kinder schüchterten mich ein, ich schämte mich furchtbar, konnte aber nicht weinen. Daraus lernte ich, mich beim nächsten Mal schlauer zu verhalten.
    Es war die Nacht vor dem 1. Juni, dem Tag des Kindes. Dieser Tag wurde als Höhepunkt des Jahres mit viel Tamtam im Heim gefeiert. Dazu gehörten einstudierte Tanze, Spiele, Luftballons und Bonbons. Unsere Erzieherin ermahnte uns, nicht ins Bett zu machen.
    Ich gehörte nicht zu den Bettnässern, doch in dieser Nacht mußte ich dringend auf die Toilette. Wir waren sechs Kinder im Schlafraum. Leise stand ich auf, ging zur Tür, erreichte die Klinke aber nicht. Ich war zu klein.
    Langsam ging ich zum Bett zurück, setzte mich auf den Rand und überlegte, wie ich am besten aus dem Zimmer käme, da passierte es auch schon. Am liebsten hätte ich geweint, aber
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