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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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würden nicht alle in die kleine Kammer passen, und selbst wenn, wer würde uns dort versorgen? Wir mussten dringend eine andere Lösung finden.
    Die Glocke
    Bereits Anfang 1942, noch bevor die Deportation ganzer Familien begann, suchten die Juden nach Fluchtwegen. Einige Leute durchschauten das perfide System und fanden unter großen Mühen eine Lösung, wenn auch manchmal nur für eine gewisse Zeit. Zum Beispiel war es möglich, eine Bleibebewilligung zu kaufen, die aber sehr teuer war und die sich daher nur Reiche leisten konnten. Andere versuchten, über die Grenze nach Ungarn zu fliehen, aber das endete oft in einer Tragödie - die, die geschnappt wurden, erschoss man auf der Stelle. Viele Familien zahlten große Summen an Nicht-juden, die sie versteckten, und das bewahrte einige von ihnen vor der Deportation, wenn auch manchmal nur vorläufig.
    Als die Massentransporte einsetzten, trat ein Gesetz in Kraft, das es einigen Juden ermöglichte, eine Freistellung zu erwirken. Unter den glücklichen Leuten, die von diesem Gesetz profitierten, waren Spezialisten für Heilkräuter, Experten für die Anfertigung medizinischer Instrumente und so weiter. Wohlhabende Privatleute konnten sich, wie zuvor, ihre Freiheit noch immer mit viel Geld erkaufen. Den »privilegierten« Juden wurde befohlen, auf ihren Mänteln oder Jacken einen kleinen gelben Davidstern aus Bakelit zu tragen. Er sah aus wie eine Brosche und war mit »UJ« bedruckt. Die Buchstaben standen für »Unentbehrlicher Jude«, und dieses Abzeichen unterschied sie von all den anderen Juden, die jetzt einen großen gelben Stern trugen.
    Dank dieser »Brosche« war es unserer Familie erlaubt, weiterhin in der Stadt zu bleiben - für eine kurze Zeit, wie uns die Behörden wissen ließen.
    Die Experten mit diesem Abzeichen mussten den Nicht-Juden die Grundzüge ihres Berufs beibringen, und zwar schnellstmöglich. Diese »Lehrlinge« waren nicht unbedingt eifrige Schüler; sie wurden für ihre Loyalität gegenüber dem faschistischen Regime belohnt. Die meisten von ihnen stammten nicht aus unserer Stadt, sondern kamen aus entlegenen Dörfern. Man versorgte sie mit Wohnungen (den Wohnungen, aus denen die Juden bereits vertrieben worden waren), und sie wurden zu rechtmäßigen Erben ihrer »Lehrherren« bestimmt.
    Auch Vater übte einen Beruf aus, der ihn davor bewahrte, In ein Konzentrationslager geschickt zu werden. Er leitete einen handwerklichen Betrieb, in dem Prothesen hergestellt wurden; diese künstlichen Körperteile wurden nach der genauen Beschreibung des behandelnden Orthopäden angefertigt. Da Vater der Einzige im gesamten Distrikt war, der sich auf die Herstellung dieser Prothesen verstand, besuchte er regelmäßig die Krankenhäuser und arbeitete mit ihnen zusammen. Auch ihm wurde ein christlicher »Lehrling« zugeteilt, der mit seiner Familie aus dem Norden des Landes in die Stadt gekommen und in eine der jetzt leeren Wohnungen unseres Hofes gezogen war - die Wohnung einer jüdischen Familie, die man in den Osten verbracht hatte. Der Christ und seine Familie »erbten« die Wohnung samt Mobiliar. Vater wurde der Angestellte dieses Mannes und sein Lehrherr, obwohl der Neuling keine Ahnung von dem Handwerk hatte, kein besonderes Interesse für diesen Beruf zeigte und auch keine ernsthaften Anstrengungen unternahm, ihn zu erlernen, da sein Hauptinteresse der Politik galt. Er war sehr froh, dass er eine mietfreie Wohnung bekommen hatte. Außerdem war ihm ein ordentliches Gehalt für sehr wenig Arbeit versprochen worden. Vater und sein »Lehrling« einigten sich auf ein monatliches Entgelt, obwohl offensichtlich war, dass der Mann den Beruf nie ausüben würde. Seine Faulheit gefiel
    Vater, denn solange der Mann seine »Ausbildung« nicht abgeschlossen hatte, würden wir nicht deportiert werden. So verging die Zeit, und die Behörden verlängerten Vaters Bleibegenehmigung.
    Anfang 1942 verbreitete sich das Gerücht, dass viele Juden ihre Kinder nach Ungarn schmuggelten, wo die Juden noch in relativer Freiheit und Sicherheit lebten. Die Schmuggler waren nichtjüdische Bauern aus den Dörfern nahe der Grenze.
    Meine Eltern hörten von einer Frau, die ein halbes Jahr lang erfolgreich Menschen über die Grenze gebracht hatte. Nachdem meine Eltern Kontakt mit ihr aufgenommen hatten, besuchte sie uns heimlich, und sie handelten die Modalitäten aus. Sie sollte die Hälfte ihres »Lohns« an dem Tag ausgezahlt bekommen, an dem sie uns mitnahm, und den Rest, wenn sie
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