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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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dass der Todesengel damals die Häuser der Israeliten verschonte). Wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man auch an unsere Tür klopfen würde.
    Und eines Abends war es so weit. Die Tür wurde gewaltsam geöffnet. Zwei Männer in Uniform stürmten herein und fragten Mutter: »Wo ist dein Mann Moritz?«
    Mutter verstand die Frage, aber sie konnte nicht antworten, da sie nicht fließend Slowakisch sprach. Spontan warf ich mich zwischen meine Mutter und die Gardisten und sagte: »Meine Mutter kann nicht gut Slowakisch sprechen. Ich werde übersetzen und Ihnen antworten.«
    Als sie die Frage wiederholten, sagte ich: »Vater ist zusammen mit einigen anderen in die Wälder geflohen.«
    Ich bemühte mich, selbstsicher zu wirken und nicht mit der Wimper zu zucken, aber mein Herz hämmerte. Ich war sicher, dass die Gardisten mich durchschauten und wussten, dass ich
    log.
    Ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, und dann packte mich einer von ihnen grob am Arm, sah mich böse an und sagte: »Ich glaube dir nicht. Es wird dir sehr Leid tun, wenn du uns angelogen hast und wir deinen Vater hier linden!«
    Als er mich losließ, schluckte ich die Spucke runter, die sich In meinem Mund gesammelt hatte, und sah zu Mutter hinüber - sie war weiß wie ein Laken und klapperte vor Angst mit den Zähnen. Aber in ihren Augen las ich Lob und Anerkennung für mein tapferes Verhalten. Die Gardisten suchten alle Ecken und Winkel der Wohnung ab und auch den Hof. Sie suchten unter den Schränken, aber glücklicherweise fanden Nie nicht die Tür zu der versteckten Kammer.
    Mutter setzte sich, fast ohnmächtig vor Angst, und meine Schwestern wachten auf und fingen an zu weinen. Die Gardisten fragten auch sie: »Wo ist euer Vater?« Aber da sie das Geheimnis nicht kannten, konnten sie es nicht verraten. Die Suche ging weiter und weiter. Sie schien endlos zu dauern, und als die Gardisten gehen wollten, drohte mir einer von Ihnen wütend: »Wenn dein Vater wiederkommt, sagst du ihm, dass er sich sofort zu melden hat. Dann wird er auch nicht bestraft werden. Wenn sich herausstellt, dass du uns nicht gehorcht hast, wird euch das teuer zu stehen kommen!«
    Als sie endlich gegangen waren, brachen wir völlig er-schöpft zusammen und weinten - teils aus Erleichterung, teils aus Angst vor der Zukunft. Was würde morgen passieren, und übermorgen? Vater hatte alles in seinem Versteck mitgehört, und an jenem Abend erzählte er uns, dass er versucht gewesen war herauszukommen, um uns zu schützen. Er hatte Angst gehabt, dass die Gardisten uns etwas antäten, wenn sie ihn nicht fänden.
    Vater versteckte sich lange Zeit in der kleinen Kammer, und nur dem Zufall hatten wir es zu verdanken, dass er nicht geschnappt und nach Polen in ein Konzentrationslager gebracht wurde. Nachdem bereits die jungen Frauen und die meisten Männer der Stadt zur »Arbeit« geschickt worden waren, kamen die übrigen Juden an die Reihe. Wen beabsichtigten sie nun, arbeiten zu lassen? Die Kinder? Die Schwangeren? Oder die Mütter? Vielleicht auch die Alten?
    Wenige Wochen nach der Deportation der jungen Männer und Frauen hatte man die Juden aus den Dörfern gezwungen, in die Städte umzuziehen, wo die Gardisten sie leichter zusammentreiben konnten. Jetzt leitete man die Deportation der übrigen Juden ein. Den Frauen wurde erzählt, dass sie nun zu ihren Männern, Söhnen und Töchtern könnten, und viele Menschen freuten sich auf den Transport, waren glücklich über die bevorstehende »Familienzusammenführung«. Das war allzu verständlich: Viele Mütter, die mit ihren Kindern allein geblieben waren, hatten große finanzielle Schwierigkeiten und litten sehr unter der Abwesenheit der Männer. Sie waren verzweifelt und zogen eine Deportation ihrer aktuellen Notlage vor. Andere wiederum bestachen - wie schon zuvor - die zuständigen Beamten und bekamen Papiere, die sie vor der Deportation bewahrten.
    Die Geschichte wiederholte sich. Wir hatten nicht genug Geld, um uns freizukaufen. In der Zwischenzeit hatte Vater sein Versteck in der winzigen Kammer verlassen, weil die Transporte der Männer eingestellt worden waren, vor allem aber, weil er bei uns sein wollte, falls wir alle deportiert werden sollten. Wieder einmal bedrückte uns, dass wir nirgend-wohin flüchten konnten. Mutter und Vater redeten und stritten nachts stundenlang, versuchten, eine Lösung zu finden, die uns vor der Deportation bewahren würde. Aber was konnten wir tun? Eines war klar: Wir
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