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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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»Na schön, ich frage sie.«
    »Wen?« Mama war in Gedanken schon wieder woanders.
    »Anna Netrebko, wen sonst?«
    »Wirklich?« Mir wurde ein strahlendes Hundert-Watt-Lächeln zuteil.
    »Na, für Glücksmomente in der Oper oder was Ähnliches. Mir wird schon etwas einfallen, was man mit Anna hübsch illustrieren und für zehn Euro unters Volk bringen kann.«
    »Ach, wirklich?« Die Ironie entging ihr völlig. Ich konnte Mama ansehen, welch detailverliebter antizipatorischer Film sich in Windeseile in ihrem Kopf abzuspulen begann: Mama mit Anna bei der Buchpräsentation. Mama mit Anna in der Bühnengarderobe. Mama mit Anna bei der exklusiven Signierstunde in irgendeiner unmenschlich dimensionierten, zehntausend Quadratmeter großen Hugendubel- oder Thalia-Filiale oder bei Dussmann in Berlin. Mama und Anna im Blitzlichtgewitter auf dem Opernball. Doch, halt – wer in der Oper singt, geht nicht in der Oper auf den Ball. Ungeschriebenes Gesetz in Wien! Andererseits – hatte ich nicht mal Bilder mit Anna Netrebko auf dem Opernball gesehen? Neuerdings machten die ja auch in Kultur, bevor gerufen wurde: »Alles Walzer!«
    So unwahrscheinlich es war, dass Anna Netrebko ein Buch bei Siebenschön machen würde, zwischen all den Teddybären und Plüschhasen, Elfen und Feen und den nostalgischen Postkarten mit den sinnigen Sprüchen, so sicher war ich, dass Mama es fraglos fertiggebracht hätte, einen Verlagsvertrag mit Anna abzuschließen.
    Doch um hier einem Missverständnis vorzubeugen: Mama ist keineswegs nur eine eifrige Leserin von Gala , Bunte oder gar In-Style . Ihr Interesse bewegt sich durchaus auf gehobenem gesellschaftlichem und kulturellem Parkett. Was Paris Hilton oder andere verwirrte Geschöpfe treiben, interessiert sie nicht die Bohne, von den Eskapaden Lady Gagas hat sie keinen blassen Schimmer. Aber sie weiß natürlich, in welchem Dorf in der Uckermark Angela Merkel den Heiligabend verbringt oder wohin die zu Guttenbergs, mit denen sie sich – als sie noch angesagt waren – entfernt verwandt wähnte, in Skiurlaub fahren. Sie kennt Anna Netrebkos Tourneekalender in- und auswendig – einschließlich der Partien, die sie in New York, Wien und Mailand singt –, hätte aber niemals zu sagen gewusst, ob Jennifer Aniston nun bei Liebhaber Nummer sieben oder Nummer acht angelangt ist.
    Und wenn TV -Prominenz, dann MRR und sein Literarisches Quartett ; als diese Sendung eingestellt wurde, erlaubte sich sogar Mama einen Anflug von Depression. Oder Elke . Elke war noch besser gewesen als Anna. Wenn Elke Heidenreich mit atemlos-heiserer Begeisterung » Lesen!« in die Kamera rief und das vollkommene Leseglück versprach, dann freute sich die Buchhändlerin um die Ecke auf Mamas Kommen gleich am nächsten Tag. Sie hatte dann alle in dieser Sendung erwähnten Bücher stapelweise vorrätig, und Mama und die Buchhändlerin verbrachten mindestens eine halbe Stunde damit, ungehemmt von Elke zu schwärmen. Es waren Sternstunden des Bücherglücks, die Frau Heidenreich meiner Mutter bescherte. Und dass Elke der Musik im Allgemeinen und der Oper im Besonderen ebenso verfallen war wie ihre treueste Freundin, war sozusagen das dreifach gestrichene C. Dafür bin ich Elke Heidenreich mein Leben lang dankbar. Obwohl sie natürlich nie ein Siebenschön-Buch empfohlen hat. Ich schäme mich, hier zu gestehen, ihr auf Mamas ausdrückliche Anweisung ein Bücherpaket kolossalen Volumens mit ungefähr einem Drittel der Verlagsproduktion unaufgefordert in die ZDF -Redaktion geschickt zu haben. Spätestens da musste dieser Verlag restlos bei ihr unten durch gewesen sein.
    Man konnte Mama also keine Freude machen, ihr ein von Elke Heidenreich empfohlenes Buch zu schenken. Sie hatte sie alle. Und ich meine wirklich alle . Nicht nur gekauft, sondern gelesen. Nur selten kam es vor, dass ihr Urteil nicht mit dem Elkes übereinstimmte. Als » Lesen!« eingestellt und Elke Heidenreich geschasst wurde, schrieb Mama an den ZDF -Intendanten Markus Schächter einen Brief, den ich meinem ärgsten Feind nicht von unserem höchstbezahlten Anwalt hätte schreiben lassen. Der Untergang des Abendlands, der unmittelbar bevorstand, war nur der Ignoranz geschuldet, mit welcher das ZDF den Untergang der Buchkultur sehenden Auges in Kauf nahm. Dabei hatte Frau Heidenreich doch so recht gehabt mit ihrer Kritik! Das war doch alles unbestreitbar! Un-be-streit-bar!
    Seltsamerweise akzeptierte es Mama dann doch, dass Elke Heidenreich kein Kaliber für den
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