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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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verschlossenen Toren Engelschöre proben, fielen seit Stunden dicke Flocken, die im Licht der Straßenlaternen tanzten und dann zu Boden sanken, als ließen sie sich in einen lang ersehnten Schlaf fallen. Der so kurz vor Weihnachten hereinbrechende Winter war derart ungewohnt, dass jeder die Befürchtung hatte, die weiße Pracht würde niemals bis zum Fest halten, sondern sicherlich wie so oft in regennasser Düsternis und meteorologischem Trübsinn versinken. Pünktlich zum Heiligabend würde sie wohl wieder warmem Nieselregen Platz gemacht haben.
    Doch der Schneefall dauerte an. Er überzog die Stadt mit Zuckerguss, die Autos bekamen dicke Mützen, und von den Gehwegen war das Scharren emsig betätigter Schneeschaufeln zu hören – ein Geräusch, das jeden, der es von drinnen, aus der Sicherheit und Geborgenheit seines gemütlichen Heims, vernimmt, sogleich in frohe Erwartung versetzt: auf Winterfreuden vielfältiger Art. Die Erinnerung an Schlittenfahrten und ausgedehnte Wanderungen durch von Schnee glitzernde Parks und Wälder, sozusagen durch ein wirkliches Narnia, gibt dem Herzen einen wehmütigen Stich. Ach ja, damals – weiße Weihnachten! Wie lange hat es das nicht gegeben?
    Ich für meine Person hatte das Jahr abgeschlossen. Die Verlagsgeschäfte waren schon in die Weihnachtspause geschickt worden, die vergangenen Tage damit vergangen, Geschenke zu besorgen und Vorbereitungen zu treffen. Vorbereitungen besonderer Art, möchte ich sagen, denn diesmal würde Weihnachten etwas ganz Spezielles sein: Es fiel zusammen mit dem fünfundsechzigsten Geburtstag meiner Mutter, die tatsächlich ein am 24. Dezember geborenes Christkind ist – »wie Sisi … Kaiserin Elisabeth … du weißt schon«, was Mama nie müde wurde zu betonen.
    Wen auch immer nun der Gedanke durchzuckt: Wie praktisch! Zwei Feste an einem Tag! Das ist nur die halbe Mühe!, der muss leider enttäuscht werden. Man muss wissen, dass meine Eltern in München residieren – nein, das ist nicht übertrieben, man kann es durchaus so nennen! – und ich mit meiner Frau Julie in Münster wohne; die beiden Orte haben, wie jeder weiß, nur die erste Silbe gemein, sind aber ansonsten nervenaufreibende sechshundertsechzig Kilometer voneinander entfernt. Also muss sich der gratulierende Teil der Familie auf den Weg machen, sprich: sich ins vorweihnachtliche Verkehrschaos stürzen, während der Gratulationen empfangende Teil die sich anbahnenden frohen Ereignisse in den eigenen vier Wänden erwarten darf. Und es ist keineswegs nur ein gratulierender Teil, sondern es sind deren mehrere, und alle kommen sie wie die Hirten – von nah – und die Könige – von fern – zum Heim des Christ- und Geburtstagskinds, das sie nicht im Stall antreffen werden, sondern im Ohrensessel.
    Wir teilten also in diesem Jahr das Schicksal der Heiligen Familie: »Auf die Flucht«, wie meine Frau Julie es nannte. Da wir nach dem Weihnachtsbesuch bei Eltern und Großeltern nicht nach Münster zurückkehren, sondern in den Winterurlaub, in eine Kuschelhütte in der Nähe von Kitzbühel weiterfahren wollten, hatten wir zum ersten Mal seit Jahren keine Blaufichte oder Edeltanne zum Preis eines durchschnittlichen Kurzurlaubs besorgt. Es war uns sogar erspart geblieben, sozusagen in letzter Minute – wie wir es sonst immer taten – über die schon ziemlich gerupften Weihnachtsbaummärkte herzufallen und an die dort traurig herumstehenden übrig gebliebenen Erzeugnisse der heimischen Forstindustrie strenge ästhetische Maßstäbe anzulegen, was schlanken Wuchs, den Augen wohlgefällige Buschigkeit und gerade Spitze betraf. Also aus dem bereits spärlichen, ja mickrigen Angebot ein in jeder Hinsicht überzeugendes und dem weihnachtlich geschmückten Heim der Familie Siebenschön adäquates Exemplar herauszusuchen. Was üblicherweise nicht vor dem 23. Dezember geschah, aber es hatte auch schon Jahre gegeben, wo ein sichtlich enervierter Herr Johannes Siebenschön und seine unverdrossen optimistische Gemahlin Julie die Münsteraner Weihnachtsbaumverkäufer am Vormittag des Heiligabends in den Wahnsinn getrieben hatten.
    Da entspannen sich dann Dialoge wie dieser:
    Er: Schau mal, der ist doch schön.
    Sie: Der ist nicht ganz gerade. Und zu klein für den großen Salon.
    Er: Aber er hat eine tolle Spitze.
    Sie: Er ist ziemlich gedrungen, n’est ce pas ?
    Er: Du meinst, er ist fett ? Dann passt er ja zu mir …
    Sie: Quatsch … Und riesige Löcher hat er auch … schau doch nur.
    Er: Da
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