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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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darum, sozusagen in meinem Windschatten aufgewachsen zu sein, mit irgendwie normaler Liebe und Zärtlichkeit, ohne diese übertriebene und übervorsichtige Fürsorge, die Erstgeborenen zuteilwird. Und erst recht die Mädels, die mehr in Papas als in Mamas Revier pubertierten. Als ob sie spürten, dass jeder Vergleich bei ihrer Mutter Konkurrenzgefühle hervorrufen würde. Nein, die Jungs waren Mamas Jungs, und die Mädels waren Papas Mädels, zumindest was Aufmerksamkeit und Nachsicht betraf.
    Ich schaute mich um, aber es gelang mir nicht, im Tun und Vorhaben meiner »weihnachtserprobten« Mutter irgendeine Struktur oder einen sinnvollen Plan zu entdecken. In die Küche zu gehen, wagte ich erst gar nicht. Ich konnte nur hoffen, dass sich wenigstens das vorgesehene Weihnachtsmenü in irgendwie bewältigbaren Dimensionen bewegte. Trotzdem würde ich – das war mir jetzt schon klar – in den kommenden Tagen noch ein Dutzend Mal in den Supermarkt, auf den Elisabethmarkt oder in diverse Delikatessengeschäfte und Weinhandlungen gehen, um noch dieses und jenes zu besorgen. Dieses und jenes – ohne das Weihnachten eine einzige Katastrophe würde!
    Während Mama wieder im Geschenkpapier untertauchte und von Papa nichts zu sehen war, schlich ich durch die gefühlte Neunhundert-Quadratmeter-Wohnung mit ihren vier Schlafzimmern, die jedoch genau dreihundertachtundzwanzig Quadratmeter umfasste und in den kommenden Tagen zum Hotel Mama werden würde. Freudig gestimmt öffnete ich die Tür zu meinem früheren Zimmer. Doch was sich da meinem Blick bot, ließ mich erstarren.
    Nichts, was ich dort sah, hatte noch mit meinen wunderbaren Erinnerungen an Kinderglück und Jugendwahn zu tun.
    In der Ecke standen drei große Kisten, in die man provisorisch wohl alles verstaut hatte, was einst meine ganze Seligkeit gewesen war – alles Spielzeug, alle Souvenirs, alle Bücher, die ich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hatte. Mein ganzes früheres Universum war geschrumpft auf diese drei vollgestopften Kisten. Und das Bild von Marc Chagall mit den Liebenden, die über einem Blumenstrauß schwebten, war von der Wand verschwunden. Man hatte gründlich renoviert, alles neu gestrichen und ein gerahmtes Frauenporträt von Alphonse Mucha aufgehängt. In der Ecke stand ein Bett von Grange , und auch das andere Mobiliar schien direkt dem Katalog dieser Firma entsprungen zu sein. Na wunderbar, man hatte den Raum eingerichtet . Mein Zimmer! Es hatte sich über Nacht zum Sujet einer Homestory in Homes & Gardens verwandelt.
    Zornentbrannt stürmte ich aus dem Zimmer und schlug sogar die Tür hinter mir zu. Doch meine Wut nahm auf dem Weg zum Salon mit jedem Schritt ab. Sozusagen zwangsläufig. Denn – das wusste ich nur zu gut – es hätte überhaupt keinen Sinn, meiner Mutter Vorhaltungen zu machen. Sie würde nichts, überhaupt nichts verstehen. »Aber, Buberl«, würde sie sagen, »irgendwann muss es doch mal raus, das Gelump!« Ich hätte noch so empört krächzen können: »Was braucht ihr bei dreihundertachtundzwanzig Quadratmetern ausgerechnet mein Zimmer?«, eine nennenswerte Auswirkung auf Mamas Gemütszustand wäre nicht festzustellen gewesen. Allenfalls hätte sie mir begütigend über den Kopf gestrichen. »Nun sei doch vernünftig! Du bist neununddreißig, wie lange willst du hier noch dein Kinderzimmer okkupieren?«
    Und das würde eine Frau sagen, die nichts mehr hasst und fürchtet als die kleinste Veränderung. Die nichts wegwerfen kann. Bei der alles wie am Schnürchen laufen, alles unter Kontrolle sein muss. Die ihr Leben damit zubringt, mittels unzähliger, täglich frisch erstellter To-do- Listen die schmalen Pfade durch das Chaos zu erkennen, das sie selbst anrichtet. Ausgerechnet diese Frau muss sich an meinem Zimmer vergreifen!
    Ich starrte schicksalsergeben vor mich hin und wartete darauf, dass sich mein aufgeschäumtes Mütchen abkühlte. Dann atmete ich einmal tief durch und öffnete die Tür zum Salon.
    »Äh … Mama … welches Zimmer hast du denn für uns vorgesehen … ich meine … für Julie und mich?«
    Sie blickte irritiert auf. »Was meinst du, Buberl?«
    »Welches Zimmer bekommen wir ?«
    »Ach so … ja … das entscheiden wir später … ich habe noch keinen Plan.«
    Sie hatte noch keinen Plan!
    »Und mein Zimmer?«
    »Ach, das … na, das ist für Charlotte natürlich.«
    » Natürlich.« Ich legte einen sarkastischen Unterton in meine Stimme.
    Also darum diese Demütigung, dieser ganze
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