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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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kolportiert, man glaubt, er ist aus Kindermund – dabei ist er das Machtwort eines entfernten Großonkels.
    Ein Minenfeld war auch das Gedeihen der Kinder. Wobei die »Kinder« sich inzwischen in einem Alter zwischen zwanzig und fast vierzig Jahren bewegten. Doch sie blieben eben Kinder und würden es immer sein. Und entsprechend nie nachlassen würde die elterliche Fürsorge, überhaupt die elterliche Sorge und auch das elterliche Misstrauen.
    So gehörte es zum Beispiel zu Mamas Anlässen für unendlichen Kummer, dass Laura es sozusagen nie in die Top-Liga der Models geschafft hatte – »Bei deinem Aussehen!« –, ja nicht einmal in die der einigermaßen betuchten. In den ersten Jahren schickte uns Schwesterlein noch die Kataloge, Plakate und Anzeigen, in denen sie eher knapp bekleidet posierte. Was, meinen Sie, ist es für ein Gefühl, die eigene Schwester in Bademoden oder mit Dessous betupft zu sehen, in voller Korsage und angetan mit Stoffen, die ihrer Figur schmeicheln, mit verwirrtem Griff ins Haar, leicht geöffnetem Mund und erotischen Blicken zum Dahinschmelzen? Dazu Texte zu lesen wie: »Luxuriöse Lingerie, die wie Champagner alle Sinne belebt! Ein exklusiver Genuss für die besonderen Tage im Leben«? Die Markenschildchen lesen sich verführerisch: Lise Charmel, Aubade, Victoria’s Secret und La Perla . Laura ist der Star bei Princesse Tamtam . Und wenn wir durch italienische Städte bummeln, verfolgt uns Laura auf Plakaten, die im Schaufenster jedes Intimissimi -Ladens hängen.
    Also, um es kurz zu machen: Mama fand’s »Seufz«, Papa fand’s »Warum nicht«, Robert fand’s » O là là « und grinste anzüglich, Julie fand’s » Superbon «, kaufte sich sogar die Modelle in ihrer zugegeben etwas kleineren Größe und sah darin noch besser aus als Laura, aber Julie meinte, ich sei verblendet, Dorle fand’s »Voll Porno!« und »Tooolll!«, aber ich glaube, das war nur ironisch. Und ich? Ich fand’s … na irgendwas zwischen Scham und Stolz. Ziemlich viel Stolz und ziemlich wenig Scham, um ehrlich zu sein. Gefiel mir Laura mal ein bisschen zu gut, rief ich mir rasch das Bild der Fünfjährigen in Erinnerung, die mir mit ihrer quiekenden Stimme und ihrem ständigen Gezerre und Gekicher unglaublich auf den Kiki gegangen war.
    Wenn Laura sozusagen die personifizierte Modeikone ist, die alles trägt, was angesagt und zum Trend ausgerufen worden ist, und zwar nicht nur Pret-à-porter , sondern auch Haute Couture , dann ist Dorle sozusagen der Gegenentwurf zum Fashion Victim . Sie ist Antitrend, sie ist vintage , sie ist grunge . Eine Meisterin darin, Stoffe, Schnitte und Accessoires zu kombinieren, die nicht zusammenpassen und an ihr doch ein grandioses Bild ergeben. Sie sieht darin einfach hinreißend aus. Ein Beispiel? Nun, wenn sie Strumpfhosen trägt, in denen sie wie ein Kobold wirkt, mit einem roten und einem grünen Bein, einen Rock aus Rohseideflicken und einen bezaubernden Kittel, der an eine japanische Schuluniform für Mädchen erinnert. Geht sie in diesem Outfit auf jemanden zu, lächelt sie provokant und wackelt mit dem Po, natürlich »ironisch«, um die Aufmerksamkeit auf die glänzende Seidenschleife dort zu lenken, die ihre Kostümierung vervollständigt. Glücklich der Mann, den sie irgendwann einmal in ihrer Pluderhose aus Tausendundeiner Nacht oder einer tollen Strumpfhose – sagen wir, der schwarzen mit den breiten roten Streifen – an der Tür begrüßen und dem sie etwas Zärtliches zuflüstern wird, vorzugsweise auf Französisch.
    Während der Erstgeborene nämlich die unbequemen Schulbänke des humanistischen Gymnasiums drücken musste, durfte Dorle lebende Sprachen lernen. Sie hatte das Abitur gemacht und jobbte nun erst mal in einer Buchhandlung, bevor sie nächstes Jahr ein Studium im Ausland beginnen wollte, wahrscheinlich in Paris. Französisch ist ihre Lieblingssprache, und sie macht sich einen besonderen Spaß daraus, mit Julie in deren Muttersprache zu parlieren, damit ich möglichst wenig mitbekomme. Sie kichern in meiner Gegenwart so ausgelassen und unanständig, dass ich notgedrungen zu der Erkenntnis gelangen muss, sie machten sich unentwegt über mich lustig. Aber das sind nur die unangebrachten Gefühle eines sich überschätzenden Außenseiters.
    Und so wie Dorle sich kleidet, so benimmt sie sich auch. Immer eine Spur zu frech, zu unbekümmert, als sei das Leben eine bunte Obsttorte mit Sommergeschmack, als habe sie ein Abonnement auf immerwährenden
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