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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand
Autoren: Luanne Rice
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dem Wasser so weit wie möglich entgegengewölbt. Sie liebte das Gefühl der Gischt an ihren Waden, die mit jeder Welle stärker wurde. Sonnenbaden konnte ziemlich eintönig sein. Der Gedanke, dass die Flut kam, und die Kraft der immer stärker werdenden Brandung erregten sie. Das Meer glich einem fantastischen Liebhaber – zumindest hoffte sie, dass es sich so ähnlich anfühlen würde, wenn es so weit war. Wann immer sie in den Ozean eintauchte, wurde sie von ihm umfangen. Er war verführerisch, schwer fassbar, veränderte sich ständig … es war für Emma wie ein Rausch – er zeigte ihr, dass sie lebendig war.
    »Also?«, fragte Emma, mit geschlossenen Augen, auf dem Rücken liegend. Ihre Freundinnen blieben zunächst stumm – sie hätte glauben können, ganz alleine am Strand zu sein, wenn sie es nicht besser gewusst hätte.
    »Ich habe keine Lust aufzustehen«, murmelte Madeleine, die zwischen den beiden anderen lag. »Es fühlt sich so wunderbar an. Die Sonne ist perfekt.«
    »Stevie – du bist so still da drüben«, sagte Emma über Maddie hinweg. »Gehst du mit mir schwimmen?«
    »Nur wenn wir uns an den Händen halten«, erwiderte Stevie. Emma lächelte verstohlen. Stevie liebte Nähe.
    Maddie kicherte. »Die Leute werden uns für sonderbar halten.«
    »Sind wir ja auch – oder ich zumindest«, entgegnete Stevie.
    Emma wartete vergeblich darauf, dass Stevie lachte. Dass sie selten lachte, stimmte Emma allemal traurig, und solche Gefühle waren ihr zuwider. Ihre Eltern missbilligten jede Form von Trübsinn – sie legten Wert darauf, dass alles fröhlich und reizvoll war, und Emma ebenfalls. Sie tat nahezu alles, um sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen, was Stevies Bestimmung im Leben zu sein schien; Emma hatte mehrere wirksame Möglichkeiten gefunden, betrübliche oder ärgerliche Dinge zu verdrängen, wozu Jungen, Einkaufsbummel oder ihre beiden Freundinnen gehörten. Sie packte Maddies Hand und zog sie hoch.
    Sie bildeten eine Kette – Emma, Madeleine und Stevie. Einander an den Händen haltend, blickten sie auf die gleißende Bucht. Das Granitfelsenriff von Hubbard’s Point erstreckte sich in den Sund hinein, bildete eine weitläufige Kurve, welche die weiße sichelförmige Bucht vor den Meereswellen schützte. Die Schreie der Möwen drangen von den Nistplätzen auf der Felseninsel herüber; Emma wusste, dass Stevie bei Morgengrauen hinausruderte, um Skizzen von den Vogeljungen zu machen, die darauf warteten, von ihren Müttern gefüttert zu werden.
    Der Gedanke ließ Emma erschauern, wenngleich nur leicht. Seit frühester Kindheit war sie Stevies allerbeste Freundin. Maddie war später dazugestoßen, aber sie hatte hundertprozentig zu ihnen gepasst und den Kreis vervollständigt. Emma galt in diesem Trio als die Kesse. Maddie war die Unbeschwerte. Und Stevie die Sensible.
    Was Stevie nicht wusste – von Maddie ganz zu schweigen –, war, dass Emma für die beiden durchs Feuer gegangen wäre. Sie war kess, witzig, herrschsüchtig, hübsch, verrückt nach Jungen; sie besaß all die sorglosen Eigenschaften, mit denen ihre Freundinnen sie oft aufzogen. Obwohl sie die Kreiszeremonie ins Leben gerufen hatte, um den Bund zwischen ihnen zu besiegeln, glaubten die beiden anderen, dass sie ihm nur wenig Gewicht beimaß: dass es sich um eine lose Sommerfreundschaft handelte, die Emma Jahr für Jahr als gegeben hinnahm. In Wirklichkeit waren Stevie und Maddie Sonne, Mond und Sterne für sie; wozu brauchte sie als Leitbild die Sterne, wenn sie die Beachgirls hatte?
    »Ich dachte, wir wollten ins Wasser.« Maddie zog ihre Freundinnen an den Händen.
    »Ich wünschte, ich wünschte …«, begann Stevie, die Augen fest geschlossen.
    Emma hielt den Atem an, wartete darauf, dass Stevie fortfuhr. Stevie sah den Strand in ganz anderem Licht als alle anderen Leute. Sie ließ sich von ihm inspirieren – sie nahm das Licht, den Wind, die Schreie der Vögel und die Sterne in sich auf und schickte sie wieder in die Welt hinaus, auf dem Papier ihrer Bilder und Zeichnungen.
    Emma beugte sich vor, um an Maddie vorbeizuspähen, und spürte, wie das Wasser ihre Knöchel umspielte. Als sie Stevies ausgeprägte Gesichtszüge betrachtete – blass wegen des Sonnenschutzmittels, das sie immer auftrug, fein und wie gemeißelt, eingerahmt von einem geraden Pony und kurz geschnittenen schwarzen Haaren –, verspürte sie tief in ihrem Inneren einen Stich.
    »Was, Stevie? Was wünschst du dir?«, hakte
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