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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand
Autoren: Luanne Rice
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blauen Schatten von Eichen und Tannen. Nell spähte hinüber, ihre Augen mit den Händen vor der Sonne abschirmend. »Das Haus sieht weiß für mich aus.«
    »Ist es jetzt auch. Aber früher war es blau. Als ich klein war. Ich erinnere mich genau:

    ›Blaues Haus, Herz aus Stein,
    kommst du in meinen Garten hinein,
    wirst auch du eine Hexe sein …‹

    Das hat meine Schwester Annie immer gesungen.«
    Nell starrte zu dem Haus hinauf. Sie war skeptisch: Die Freundin ihrer Mutter konnte keine Hexe sein. Andererseits hatte sie so gut wie jedes andere Cottage in Hubbard’s Point von ihrer Liste streichen müssen. Ihr Vater und sie hatten mit dem Fahrrad sämtliche Straßen abgeklappert. Danach war sie zu den beiden einzigen blauen Cottages zurückgekehrt, die sie entdeckt hatte, um die Bewohner zu fragen, ob sie sich an ihre Mutter erinnerten, an Emma Kilvert. Beide Male lautete die Antwort Nein.
    »Warum ist sie eine Hexe?«, erkundigte sich Nell.
    »Weil man sie nie zu Gesicht bekommt«, sagte Peggy. »Sie lebt während der Wintermonate in New York, und wenn sie hier ist, hält sie sich bis nach Einbruch der Dunkelheit in ihrem Garten auf. Sie spricht mit Eulen. Sie schreibt Kinderbücher über alle möglichen Vögel. Ein Buch ist sogar verfilmt worden. Leute, die keine Ahnung haben, wie sonderbar sie ist, kommen von überall her an den Strand in der Hoffnung, sie zu sehen – aber sie macht nicht einmal die Tür auf, wenn es klingelt! Und jeden Morgen, bevor die Sonne aufgeht, wandert sie mutterseelenallein am Strand entlang, hält Ausschau nach Küstenvögeln und ihrem verlorenen Diamantring.«
    »Diamantring?«
    »Ja. Sie ist geschieden. Sie war schon viele Male verheiratet. Kinder hat sie keine, obwohl sie Kinderbücher schreibt. Sie hat die Verlobungsringe gesammelt und trägt sie an sämtlichen Fingern. Aber den Ring mit dem größten Stein hat sie beim Schwimmen verloren, während eines Sturms, und sie muss ihn wiederfinden. Er ist Tausende wert. Sie verhängt einen Fluch über die Männer, die ihren Weg kreuzen! Und über die Kinder, die verbotenerweise ihren Garten betreten. Sie lesen ihre Bücher, aber sie jagt sie davon. Du solltest das Schild sehen, das sie neben der Treppe aufgestellt hat …«
    Nell runzelte die Stirn, schlang die Arme um ihre Knie und machte sich klein. Es gefiel ihr nicht, was sie über diese Frau zu hören bekam. Vielleicht war es ein Fehler, sie kennen lernen zu wollen … Doch dann dachte sie an ihren Vater und Francesca, seine neue Freundin, und an die sanften blauen Augen ihrer Mutter mit den zarten Sonnenfältchen rund um die Augenwinkel, und wie sie von ihrer Freundin zu erzählen pflegte, und dann war Nell, als hätte sie ein Loch im Bauch.
    Einmal Beachgirl, immer Beachgirl …
    Allein bei dem Gedanken an diese alte Redewendung wurde das Zittern schlimmer und das Loch größer; mit einem Mal vermisste sie ihre Mutter so sehr, dass sie fürchtete, gleich hier am Strand vom Kummer zermalmt zu werden. Sie blickte zu dem Haus auf dem Hügel empor, die Knie noch enger an den Körper gepresst.
    War die Freundin ihrer Mutter eine Bücher schreibende Hexe? Nichts schien mehr unmöglich zu sein. Verglichen mit den anderen Dingen, die sich in Nells Leben zugetragen hatten, war dieser Gedanke nicht besonders abwegig oder Grauen erregend. Sie bedankte sich bei Peggy für die Auskunft und marschierte los, um einen Weg zu suchen, der den Hügel hinauf zu dem Ehemals-Blauen-Haus führte.

    Die Tennisplätze von Hubbard’s Point hatten sich seit Jack Kilverts Jugendzeit gewaltig verändert. Sie waren nach reiflicher Überlegung Strand und Marsch hinzugefügt worden und neigten sich sanft dem Sandparkplatz zu, ihr Belag bestand damals aus einer rissigen Teerdecke, bei heftigem Unwetter standen sie unter Wasser. Nun besaßen sie einen grünen Kunstrasen, sorgfältig eingefasst, ausgerollt und gepflegt – und die Leute mussten sich anmelden, wenn sie ihn benutzen wollten.
    »Dreißig beide!«, rief Francesca von der anderen Seite des Netzes.
    Jack konzentrierte sich, als sie sich für den Aufschlag rüstete. Ihr Haar war honigbraun, zurückgehalten von einem breiten weißen Band, das ihre Bräune besonders gut zur Geltung brachte. Abgesehen von der Sanduhr-Silhouette, war sie schmal wie ein Weidenbaum, hatte endlos lange Beine und erregte Aufsehen, wie Jack feststellen musste, obwohl er sich bemühte, seine Aufmerksamkeit auf das Spiel zu richten. Zwei Zigarre rauchende Männer, die
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