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Watermind

Watermind

Titel: Watermind
Autoren: M.M. Buckner
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hineinfallen. Sie versuchte sich nach oben zu kämpfen, aber die Strömung zog sie hinunter. Das elektrische Feld des Kolloids kribbelte auf ihrer Kopfhaut, und dann breitete sich eine Klarheit im Wasser aus. Es drängte ihre Lippen auseinander. Es schob sich unter ihre Augenlider und sickerte osmotisch in ihre Poren. Sie fühlte sich penetriert, grenzenlos, durchnässt. Dies war das völlige Vergessen, nach dem sie sich gesehnt hatte. Alle Fragen lösten sich in nichts auf. Alle Entscheidungen wurden sinnlos. Sie musste nur den Mund öffnen und atmen. Sie presste die Lippen fest zusammen. Nein, Harry. Ich werde dir nicht folgen. Sie strampelte kräftiger, um nach oben zu gelangen. Der Drang breitete sich durch ihren Körper aus und versorgte ihr Wasserkind mit Blut. Bleib am Leben.
    Als ihre Schulter gegen etwas Hartes stieß, wirbelte sie herum, um es abzuwehren. Dann wurde sie mit überwältigender Kraft aus dem Wasser an die helle, scharfe Luft gezogen. Keuchend und hustend lag sie auf dem Aluminiumwellblech des Sumpfboots. Und da war Max.
    »Halt dich an mir fest«, sagte er.
    Im brennenden Sonnenlicht klammerte sie sich an seinen Unterarm und rang nach Atem, und nach wenigen Sekunden fühlte sie sich glücklicher als jemals zuvor in ihrem ganzen Leben.

108
    Sonntag, 20. März, 14.09 Uhr
    Sie schossen durch den gebrochenen Damm und die flaschengrüne Zunge aus stehenden Wellen hinunter. Das Sumpfboot erhob sich immer höher, himmelwärts, ins Blau hinein. Oben brach die Schaumkrone über das Boot hinweg und hüllte sie in Weiß. Dann stürzten sie hinunter ins Wellental und stiegen gleich darauf wieder auf, immer höher, die nächste Woge hinauf.
    Endlich hatten sie den Wellenzug hinter sich gelassen und wirbelten durch die tosenden Stromschnellen. Die Flut rauschte weiter, glänzend grüne Gischt umspülte Verkehrsschilder und hob Betonabsperrungen an. Kaninchen zitterten in Baumwipfeln, Biber hielten sich an Treibholz fest.
    Sich drehend, eintauchend und sauber gespült, ritten CJ und Max im Schoß des Waterminds. Das Kolloid wurde ruhiger, als es ungehindert auf den See und das Meer zueilte. Die Strömungen trieben das Sumpfboot weit vom Ufer ab, und als Max den Motor anwerfen wollte, klickte die Zündung nur, ohne etwas zu bewirken.
    »Die Elektronik ist tot«, erklärte CJ ihm.
    Er stöberte im Staufach, fand aber keine Ruder.
    »Ich liebe dich«, sagte sie.
    Glukoseester sättigten die Luft, und Spritzer wirbelten in Spiralfontänen empor. Zuckermoleküle sammelten sich wie Rosenkranzperlen in Max' lockigem Haar. Seine bernsteinfarbenen Augen musterten ihr Gesicht.
    »Wirklich«, sagte sie.
    Sie kniete auf dem Deck und lächelte ihn an. Dann schlug sie mit der Faust einen zaghaften Dreivierteltakt. Max lächelte und nickte. Er zog einen Stiefel aus und hämmerte mit der Sohle auf das Aluminiumwellblech, während seine andere Hand über die Fläche flüsterte und den Grundrhythmus mit einem synkopierten Backbeat unterlegte.
    Sie erinnerte sich an die Kastagnetten in ihrer Tasche und zog sie hervor. »Spiel sie«, sagte sie.
    Er hob seine verbundene linke Hand. »Mach du es, lamie.«
    Sie legte sich flach auf den Boden des Boots, ließ die Unterarme ins Wasser hängen und klapperte mit den hölzernen Schalen, während Max mit seinem kräftigen Bariton einen Scat-Gesang anstimmte.
    Unvermittelt wurde die Luft kühl, und das Boot kam ruckend zum Stehen. Schnell zog Max sie aus dem Wasser. Zuerst verstand sie nicht, was los war, bis sie das hallende Klirren hörte. Das Wasser um sie herum vereiste.
    Mit einem lauten Knacken verfestigte sich das Eis über dem Sumpf. Es umschloss Stängel und Grashalme und verhärtete über jeder Oberfläche in einer frostigen weißen Schicht. Vögel flogen auf. Insekten erstarrten. Bis auf einen Hubschrauber am Himmel fiel eine wattige Stille über die Szenerie. Dann dröhnten tiefe Töne aus dem Eis. Mit neuer Hoffnung erkannte sie den Rhythmus.
    Max spitzte die Ohren. »Das ist ein Walzer.«
    Sie horchten. Es war kein einfacher Walzer. Die Betonung wechselte unerwartet und landete immer wieder auf dem Offbeat. Der Rhythmus wurde komplexer, nuancierter. Immer wieder verschob sich das Tempo, um in einem wunderschönen Effekt wieder in den richtigen Takt zu gleiten. Es war wie Max' Synkopen, nur mit ganz anderer Betonung.
    »Es hat uns gehört«, sagte sie.
    Max grinste. »O ja. Es improvisiert.«
    Bald verhallte die dröhnende Musik, und wieder breitete sich weiße Stille aus,
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