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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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zufälligen Hintergrund für mein aus Partys, Kellerbars und ganz allgemeinen Ausschweifungen bestehendes Leben. Was von mir als Studentin erwartet wurde, war mir durchaus bekannt. Ich wusste, dass man voraussetzte, ich würde mich betrinken, Drogen nehmen (womit ich leider nicht dienen konnte), Vorlesungen schwänzen, mich absonderlich kleiden, mich etwa eine Woche vor dem Examen mit einem streberischen Kommilitonen anfreunden, um mir von ihm alle Mitschriften des Studienjahres auszuleihen, sechs Tage lang ohne Nachtschlaf auszukommen, während ich mir einhämmerte, was darin stand, und schließlich und nicht zuletzt mein Examen zu bestehen.
    Ich schloss mein Jurastudium im Jahre 1984 mit befriedigendem Ergebnis ab. Zwar grenzt das ans Wunderbare, wenn man bedenkt, wie viel ich nicht getan habe, es ist zugleich aber auch eine entsetzliche Schande. Wer weiß, was ich hätte leisten können, wenn ich ein bisschen gearbeitet hätte.

    Ursprünglich hatte ich in Blackhall Place weiterstudieren wollen, doch hatte man mir inzwischen eine Anstellung in der Gesundheitsbehörde Eastern Health Board angeboten. Da mich das leicht verdiente Geld lockte, nahm ich sie an, mit der ernsthaften Absicht, mein Studium fortzusetzen. Allerdings tat ich es dann nicht – ich weiß bis auf den heutigen Tag nicht genau, warum. Ob es womöglich einfach altmodische Faulheit war? Sie hat durchaus etwas für sich.
    Außerdem waren meine nihilistischen Neigungen wieder aufgeflammt, unter denen ich auch schon früher gelitten hatte. Es fiel mir schwer, mich dazu zu bringen, irgendetwas zu tun, weil ich den Eindruck hatte, dass nichts wirklich wichtig und letzten Endes nichts wirklich von Bedeutung war. Vielleicht hätte ich eine Behandlung mit Antidepressiva brauchen können.
    Schließlich und endlich hatte ich keine Lust, mich dadurch kaputtzumachen, dass ich gleichzeitig Geld verdiente und studierte, denn eigentlich wollte ich gar nicht Anwältin werden. Dasselbe galt für die Hälfte der Leute in meinem Kurs. Wir studierten nur deshalb Jura, weil unsere Noten nicht gut genug waren, um Medizin zu studieren, aber besser als die der armen Teufel, die in der geisteswissenschaftlichen Fakultät gelandet waren.
    Was wir studierten, war uns eigentlich nicht wichtig (richtig studiert wurde ohnehin nicht). Wir wollten einfach auf der Universität das wirkliche Leben und die damit verbundene Verantwortung noch drei Jahre lang von uns fernhalten. Wenn die Leute in der Vergabestelle für Studienplätze beschlossen, dass wir Jura studieren sollten, konnte uns das nur recht sein.
    Kurz gesagt: Ich war verantwortungslos und zu nichts nütze. Ich trank ständig, so oft und so viel ich mir leisten konnte.

    Ich habe eineinhalb Jahre lang bei Eastern Health Board gearbeitet (»gearbeitet« im weitesten Sinne), und zwar in der Abteilung, die sich mit der Adoption von Kindern und ihrer Unterbringung in Pflegefamilien beschäftigt.
    Dann bin ich nach London gezogen. Auf mein Leben dort hatte ich große Hoffnungen gesetzt. Vermutlich hatte ich angenommen, es werde all meine Schwierigkeiten lösen und sei gleichbedeutend mit der Erhörung all meiner Gebete. Ich würde eine großartige Stelle bekommen (in Dublin gab es weder großartige noch überhaupt Stellen), einen wunderbaren Mann kennenlernen (es gab in Dublin weder wunderbare Männer noch andere) und mich endlich in meiner Haut rundum wohlfühlen.
    Ich handelte nach dem Grundsatz, dass meine Aussichten, mich in London daheim zu fühlen, ebenso groß seien wie die irgendeines anderen Menschen, da niemand wirklich dort hingehörte.

    Als Hausbesetzer zogen ein schwuler Freund und ich in eine Wohnung, die im einundzwanzigsten Stock eines Hochhauses lag. Ich war fest überzeugt, das sei jetzt das wirkliche Leben.
    An meinem zweiten Tag in London ging ich in die King’s Road und brachte ein Stück Hühnerbrust aus dem Supermarkt nach Hause. Ich fühlte mich großartig, weil ich in der King’s Road eingekauft hatte.
    Einen Vorteil hatte die besetzte Wohnung in jenem hässlichen Hochhaus: Von ihr aus hatte man einen wunderbaren Blick über große Teile Londons. Nur schade, dass es die unansehnlichen und armen Bezirke der Stadt waren.
    An meinem dritten Tag in London blieb ich mit dem Aufzug stecken, und die Feuerwehr musste einige attraktive Männer in gelben Plastikhosen schicken, damit die mich herausholten. Ich hatte große Angst – immerhin steckte ich über eine Stunde in der Kabine und war überzeugt, dass
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