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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
Autoren: Sara Gruen
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gesehen? Was für herrliche Tiere!
Als ich klein war, hatten wir auch Pferde. Ach, was bin ich gerne geritten.«
Sie blickt in die Ferne, und den Bruchteil einer Sekunde lang kann ich sehen,
wie hübsch sie als junge Frau war.
    »Erinnert ihr euch noch an die Zeiten, als der Zirkus mit dem Zug
unterwegs war?«, fragt Hazel. »Ein paar Tage vorher sind immer die Plakate
aufgetaucht – die ganze Stadt war damit zugekleistert! Kein Ziegelstein blieb
frei!«
    »Meine Güte, ja, natürlich erinnere ich mich«, sagt Norma. »In einem
Jahr haben sie Plakate an unsere Scheune geklebt. Die Männer erzählten meinem Vater,
sie hätten einen besonderen Leim, der sich zwei Tage nach der Vorstellung
auflösen würde, aber diese verflixten Plakate hingen Monate später immer noch
an der Scheune!« Sie schüttelt kichernd den Kopf. »Vater schäumte vor Wut!«
    »Und ein paar Tage später fuhr der Zug ein. Immer im Morgengrauen.«
    »Mein Vater hat uns dann mit runter zu den Gleisen genommen, damit
wir ihnen beim Abladen zusehen konnten. Das war schon ein Anblick. Und der
Umzug erst! Und der Duft nach gerösteten Erdnüssen …«
    »Und Popcorn!«
    »Und kandierten Äpfeln und Eis und Limonade!«
    »Und das Sägemehl! Das hatte man immer in der Nase.«
    »Ich habe damals den Elefanten Wasser geholt«, sagt McGuinty.
    Ich lasse die Gabel fallen und blicke auf. Er trieft nur so vor
Selbstgefälligkeit und wartet darauf, dass die Mädels ihn hofieren.
    »Das haben Sie nicht«, sage ich.
    Schlagartig wird es still.
    »Wie bitte?«, fragt er.
    »Sie haben den Elefanten kein Wasser geholt.«
    »Doch, das habe ich ganz bestimmt.«
    »Nein, haben Sie nicht.«
    »Soll das heißen, ich bin ein Lügner?«, fragt er gedehnt.
    »Wenn Sie behaupten, Sie hätten den Elefanten Wasser geholt, dann
ja.«
    Die Mädels starren mich mit offenem Mund an. Das Herz schlägt mir
bis zum Hals, und ich weiß, ich sollte jetzt aufhören, aber irgendwie kann ich
nicht anders.
    »Wie können Sie es wagen!« McGuinty stützt die knorrigen Hände auf
die Tischkante. An seinen Unterarmen treten zähe Sehnen hervor.
    »Hören Sie, Freundchen«, sagte ich. »Seit Jahrzehnten muss ich mir
anhören, dass alte Knacker wie Sie behaupten, sie hätten den Elefanten Wasser
geholt, und ich sage Ihnen, das haben Sie nicht.«
    »Alte Knacker? Alte Knacker? « Als McGuinty
sich hochstemmt, schießt sein Rollstuhl nach hinten. Er deutet mit einem
knorrigen Finger auf mich und fällt dann wie vom Blitz getroffen um. Mit
ratlosem Blick und offenem Mund verschwindet er unter der Tischkante.
    »Schwester! Schwester!«, rufen die alten Damen.
    Das vertraute Getrappel von Kreppsohlen ertönt, und wenig später
hieven zwei Schwestern McGuinty hoch. Er murrt und unternimmt einen kläglichen
Versuch, sie abzuschütteln.
    Eine dritte Schwester, eine junge Schwarze mit üppigem Busen und
rosafarbener Uniform, steht am Tischende und stemmt die Hände in die Hüften.
»Was in aller Welt ist denn hier los?«, fragt sie.
    »Dieser alte Mistkerl hat mich einen Lügner genannt«, sagt McGuinty,
der wieder sicher auf seinem Stuhl thront. Er zieht sein Hemd glatt, hebt das
stoppelige Kinn und verschränkt die Arme vor der Brust. »Und einen alten
Knacker.«
    »Ach, das hat Mr. Jankowski bestimmt nicht so gemeint«, sagt die
junge Frau in Rosa.
    »Oh, doch, das habe ich«, sage ich. »Und es stimmt auch. Pfffft . Hat Wasser für die Elefanten geholt, na klar. Haben
Sie eine Ahnung, wie viel so ein Elefant säuft?«
    »Also wirklich«, sagt Norma, schürzt die Lippen und schüttelt den
Kopf. »Ich weiß nicht, was in Sie gefahren ist, Mr. Jankowski.«
    Aha, ich verstehe. So ist das also.
    »So eine Frechheit!« McGuinty, der Oberwasser spürt, beugt sich
leicht zu Norma hinüber. »Ich muss mich doch wohl nicht als Lügner bezeichnen
lassen!«
    »Und als alten Knacker«, erinnere ich ihn.
    »Mr. Jankowski!«, ermahnt die junge Schwarze mich laut. Sie stellt
sich hinter mich und löst die Bremsen an meinem Rollstuhl. »Sie sollten
vielleicht eine Weile auf Ihrem Zimmer bleiben. Bis Sie sich beruhigt haben.«
    »Jetzt warten Sie mal«, rufe ich, als sie mich vom Tisch weg und
Richtung Tür steuert. »Ich muss mich nicht beruhigen. Außerdem habe ich noch
nicht gegessen!«
    »Ich bringe Ihnen das Essen nach«, sagt sie hinter meinem Rücken.
    »Ich will nicht in mein Zimmer! Bringen Sie mich zurück! Das können
Sie doch nicht machen!«
    Offensichtlich kann sie das doch. Wie ein geölter Blitz
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