Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: James Herbert
Vom Netzwerk:
1

    Allmählich erwachte das Dorf aus seinem Schlummer und belebte sich — langsam, denn in diesem Teil Wiltshires nahm alles seinen gemächlichen Gang. Eine Stimmung von Zeitlosigkeit, die von den Dorfbewohnern im Laufe der Jahrhunderte sorgsam gepflegt worden war, beherrschte das Alltagsleben. Neu Zugezogene paßten sich bald dem geruhsamen Tempo an und begrüßten das Gefühl von Sicherheit, das damit einherging. Unternehmungslustige junge Leute hielten es nicht lange aus, vergaßen aber nie — und vermißten oft — die stille Geborgenheit des Dorfes. Gelegentliche Touristen, die es zufällig entdeckten, begeisterten sich für seinen verwitterten Charme, aber seine anheimelnde Schlichtheit war bald er- forscht, und dann zogen die Reisenden weiter, seufzend bei dem Gedanken an den Frieden dieses Ortes, aber ein wenig in Furcht vor der Langeweile, die das Leben hier mit sich bringen mochte.
    Jessie öffnete ihren Krämerladen pünktlich um 8.30 Uhr, wie sie es in den vergangenen zwanzig Jahren getan hatte. Ihre erste Kundin, Mrs. Thackeray, würde erst um 8.45 Uhr hereinkommen, aber eine Änderung der Öffnungszeiten kam darum nicht in Frage. Selbst als Tom, ihr Ehemann, gestorben war, hatte sie den Laden pünktlich um halb neun geöffnet, und zwei Tage später, als er beerdigt worden war, hatte sie nur die eine Stunde zwischen zehn und elf Uhr geschlossen. Jessie freute sich auf ihren Morgenschwatz mit Mrs. Thackeray, die immer herüberkam, ob sie etwas ein- kaufen musste oder nicht. In der ersten Zeit nach Toms Tod waren ihre Besuche ein großer Trost gewesen, und seither hatte sie niemals unterlassen, ihre Tasse Tee mit Jessie zu trinken. Sie wurden ihrer Klatschgeschichten nicht überdrüssig, und es fehlte ihnen nie an Stoff; ein Thema konnte sie zwei Wochen beschäftigen, und ein Todesfall im Dorf reichte für drei Wochen.
    Sie winkte Mr. Papworth, dem Fleischer gegenüber, der aus seinem Geschäft gekommen war und das Pflaster fegte. Ein netter Mann, dieser Mr. Papworth. Viel netter, seit seine Frau ihn verlassen hatte. Das hatte im Dorf für Aufregung gesorgt, als sie nach sechs Jahren Ehe auf und davon gegangen war. Sie hatte sowieso nicht zu ihm gepaßt. Viel zu jung für ihn, zu flatterhaft; hatte das ruhige Leben nicht ausgehalten. Er hatte sie aus dem Urlaub in Bournemouth mitgebracht und hatte nach all den Jahren, in denen jeder ihn für einen überzeugten Junggesellen gehalten hatte, plötzlich verkündet, daß er sie heiraten wolle. Daß so etwas nicht von Dauer sein konnte, das war ihnen allen von Anfang an klar gewesen, aber er hatte es eben versucht. Doch das alles lag lange zurück. Immer häufiger kam er auf einen Schwatz zu ihr herüber, und das ganze Dorf wußte, was in der Luft lag — daß nämlich die Fleischerei und der Krämerladen eines Tages zu einem Familiengeschäft zusammenwachsen würden. Es hatte jedoch keine Eile damit; die Dinge würden schon ihren Gang nehmen.
    »Guten Morgen, Mrs. Bundock!«
    Der helle Gleichklang der zwei jungen Stimmen unter- brach ihren Gedankengang. Sie lächelte dem kleinen Freddy Gravies und seiner noch kleineren Schwester Clara zu.
    »Hallo, ihr beiden. Unterwegs zur Schule?«
    Freddie bejahte und reckte den Hals nach den Glaskrügen mit Süßigkeiten auf den Regalen hinter ihr.
    »Und wie geht's dir, Clara?« Jessie lächelte wohlwollend der Sechsjährigen zu, die erst kürzlich eingeschult worden war.
    »Gut, danke«, kam die schüchterne Antwort.
    »Ich bin erstaunt, euch zwei heute zu sehen. Samstag ist doch sonst euer Taschengeldtag, nicht?«
    »Ja, aber gestern haben wir Papas Schuhe geputzt, und dafür hat er uns extra was gegeben«, erwiderte Freddy nicht ohne Stolz. Ihr Vater war Polizist in der nächsten Stadt, ein bärbeißiger, aber herzensguter Mann, der seine beiden Kin- der liebte, sie jedoch streng erzog.
    »Nun, was wollt ihr kaufen?« fragte Jessie. »Macht schnell, sonst verpaßt ihr euren Bus.«
    Clara zeigte auf die Kaugummis zu einem Penny, und Freddie nickte zustimmend. »Drei für jeden, bitte«, sagte er.
    »Na, die Kaugummis sind Montags billiger. Für sechs Pence kriegt ihr heute jeder vier.«
    Sie strahlten sie an, als sie den Glaskrug vom Regal nahm, hineinlangte und die Süßigkeiten herausnahm.
    »Danke«, sagte Clara, steckte drei in die Tasche und wickelte das vierte aus. Freddy legte das Geld auf den Tresen, nahm seine vier und folgte dem Beispiel seiner Schwester.
    »Wiedersehen, Kinder. Macht's gut!« rief sie den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher