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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square
Autoren: Henry James
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brachte, war gerade, dir das zu rauben.«
    »Ja; das habe ich gehabt.«
    Morris fand es eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Sache, daß er nicht hinzufügen konnte, sie habe abgesehen davon auch noch mehr gehabt; denn es ist wohl nicht nötig, eigens festzustellen, daß er den Inhalt von Dr. Slopers Testament erfahren hatte. Nichtsdestoweniger war er nicht in Verlegenheit. »Es gibt schlimmere Schicksale als das!« rief er ausdrucksvoll; und man hätte denken können, er beziehe sich auf seine eigene ungesicherte Lage. Dann fügte er mit mehr Zärtlichkeit hinzu: »Catherine, hast du mir denn nie verziehen?«
    »Ich habe dir schon vor Jahren verziehen, aber es ist nutzlos für uns, daß wir versuchen, Freunde zu sein.«
    |281| »Nicht, wenn wir die Vergangenheit vergessen. Wir haben ja noch eine Zukunft, Gott sei Dank!«
    »Ich kann nicht vergessen – ich vergesse nicht«, sagte Catherine. »Du hast mich allzu übel behandelt. Ich habe es sehr stark empfunden: ich habe es jahrelang empfunden.« Und von dem Wunsch erfüllt, ihm klarzumachen, daß er ihr nicht in dieser Art kommen dürfe, sagte sie dann: »Ich kann nicht von neuem beginnen – ich kann mich nicht wieder darauf einlassen. Alles ist tot und begraben. Es war zu schwerwiegend; es hat einen großen Wandel in meinem Leben hervorgerufen. Ich hatte niemals damit gerechnet, dich hier zu sehen.«
    »Ach, du bist verärgert!« rief Morris, der um jeden Preis erreichen wollte, ihrem ruhigen Verhalten irgendein Aufblitzen von Leidenschaft abzunötigen. In diesem Fall dürfte er vielleicht hoffen.
    »Nein, ich bin nicht verärgert. Verärgerung dauert nicht in dieser Art über Jahre hinweg. Aber es gibt noch anderes. Eindrücke bleiben dauerhaft, wenn sie tief waren. Doch darüber kann ich nicht sprechen.«
    Morris blieb stehen und strich sich mit umwölktem Blick seinen Bart. »Warum hast du eigentlich nicht geheiratet?« fragte er unvermittelt. »Du hast doch gute Gelegenheiten dazu gehabt.«
    »Ich wollte nicht heiraten.«
    »Ja, du bist wohlhabend, du bist frei; du hattest nichts dabei zu gewinnen.«
    »Ich hatte nichts dabei zu gewinnen«, sagte Catherine.
    Morris ließ seinen Blick umherschweifen und seufztetief. »Nun, ich hatte gehofft, wir hätten doch noch Freunde sein können.«
    »Ich hatte vor, dir als Antwort auf deine Botschaft – wenn du eine Antwort abgewartet hättest – durch meine |282| Tante sagen zu lassen, daß es nutzlos für dich ist, in dieser Hoffnung zu kommen.«
    »Also dann, lebe wohl«, sagte Morris. »Entschuldige meine Aufdringlichkeit.«
    Er verbeugte sich, und sie wandte sich ab – blieb so stehen, weggewandt, die Augen zu Boden geschlagen, noch ein paar Augenblicke, nachdem sie ihn die Zimmertür hatte schließen hören.
    In der Eingangshalle fand er Mrs. Penniman vor, unruhig und ungeduldig; offensichtlich hatte es sie dort zwischen den unvereinbaren Impulsen ihrer Neugierde und ihrer Würde umhergetrieben.
    »Das war ja ein glänzender Plan von Ihnen!« sagte Morris und knallte sich den Hut auf den Kopf.
    »Ist sie so unerbittlich?« fragte Mrs. Penniman.
    »Sie macht sich auch nicht einen Pfifferling aus mir – mit ihrer verdammten spröden Art.«
    »War sie sehr spröde?« drang Mrs. Penniman voll Besorgnis in ihn.
    Morris beachtete ihre Frage nicht; er blieb einen Augenblick grübelnd stehen, den Hut auf dem Kopf. »Aber warum zum Teufel wollte sie dann nie heiraten?«
    »Ja – warum wohl?« seufzte Mrs. Penniman. Und dann, wie aus dem Gefühl der Unzulänglichkeit dieser Erklärung heraus: »Aber Sie werden doch nicht verzweifeln – Sie kommen doch wieder?«
    »Wiederkommen? Verdammt!« Und Morris Townsend stürzte mit langen Schritten aus dem Haus und ließ Mrs. Penniman mit weit aufgerissenen Augen stehen.
    Catherine hatte unterdessen im Salon ihre Häkelarbeit wieder aufgenommen und sich damit niedergelassen – gewissermaßen fürs Leben.

|283| HENRY JAMES WASHINGTON SQUARE
    Henry James’ Roman
Washington Square
sollte ursprünglich als Kurzgeschichte in der Zeitschrift ›Atlantic Monthly‹ erscheinen, doch der Schriftsteller sah sich nicht in der Lage, die Geschichte zu kürzen, sodass er sie schließlich an das ›Cornhill Magazine‹ als Fortsetzungsroman verkaufte. Dort wurde
Washington Square
zwischen Juni und November 1880 abgedruckt und von George du Maurier illustriert. Fast zeitgleich erschien der Roman – ebenfalls als Fortsetzungsabdruck – in den Vereinigten Staaten in der Zeitschrift
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