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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square
Autoren: Henry James
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sagte sie. »Ich denke höchst selten an Mr. Townsend.«
    »Dann wird es ja leicht für dich sein, das weiterhin zu tun. Versprich mir, es nach meinem Tod beizubehalten.«
    Erneut schwieg Catherine eine Weile; die Aufforderung ihres Vaters verblüffte sie zutiefst; es riß eine alte Wunde auf und ließ sie wieder schmerzhaft empfinden. »Ich glaube nicht, daß ich das versprechen kann«, antwortete sie.
    |264| »Es wäre mir eine große Genugtuung«, sagte ihr Vater.
    »Du verstehst mich nicht, ich kann das nicht versprechen.«
    Der Doktor schwieg für eine Minute. »Ich bitte dich aus einem ganz bestimmten Grund. Ich bin dabei, mein Testament zu ändern.«
    Dieser Grund machte keinerlei Eindruck auf Catherine, und gewiß verstand sie ihn auch kaum. Alle ihre Gefühle gingen in der Empfindung auf, er versuche sie zu behandeln, wie er sie bereits vor Jahren behandelt hatte. Damals hatte sie darunter gelitten; und jetzt sträubten sich ihre ganze Erfahrung, all die Ruhe und Festigkeit, die sie sich erworben hatte, dagegen. In ihrer Jugend war sie so demütig gewesen, daß sie sich jetzt schon etwas Stolz leisten konnte, und in dieser Aufforderung wie darin, daß ihr Vater sich anmaßte, sie an sie zu richten, schien ihr eine Verletzung ihrer Würde zu liegen. Die Würde der armen Catherine hatte nichts Streitsüchtiges an sich; sie machte niemals Aufhebens von sich; doch wenn man weit genug vorstieß, konnte man sie vorfinden. Ihr Vater war sehr weit vorgestoßen.
    »Ich kann es nicht versprechen«, wiederholte sie einfach.
    »Du bist höchst eigensinnig«, sagte der Doktor.
    »Ich glaube nicht, daß du mich verstehst.«
    »Dann erkläre es mir bitte.«
    »Ich kann es nicht erklären«, sagte Catherine, »und ich kann es nicht versprechen.«
    »Auf mein Wort«, rief ihr Vater aus, »ich hatte keine Ahnung, wie eigensinnig du bist!«
    Sie wußte selbst, daß sie eigensinnig war, und es machte ihr irgendwie Freude. Sie war jetzt eine Frau mittleren Alters.
    |265| Etwa ein Jahr danach trat der Vorfall ein, von dem der Doktor gesprochen hatte: er holte sich eine starke Erkältung. Als er an einem Apriltag nach Bloomingdale hinausfuhr, um einen geisteskranken Patienten zu besuchen, der sich in einer Privatklinik für Geisteskranke befand und dessen Familie unbedingt das Gutachten einer medizinischen Koryphäe wünschte, da geriet er in einen Frühlingswolkenbruch, und weil er in einem leichten Einspänner ohne Verdeck saß, wurde er bis auf die Haut durchnäßt. Er kam mit einem bedrohlichen Schüttelfrost heim, und am folgenden Tag war er ernstlich krank. »Es ist eine Kongestion in den Lungen«, sagte er zu Catherine. »Ich brauche sehr gute Krankenpflege. Es wird freilich keine Änderung bringen, denn ich werde nicht mehr gesund werden; doch ich wünsche, daß alles bis hin zur geringfügigsten Kleinigkeit getan wird, als ob ich es würde. Ich hasse ein mangelhaft geführtes Krankenzimmer, und du wirst so gut sein, mich unter der Voraussetzung, daß ich wieder gesund werden kann, zu pflegen.« Er gab ihr an, welchen seiner Kollegen sie holen solle, und erteilte ihr eine Menge genauer Anweisungen; sie pflegte ihn ganz entsprechend der optimistischen Voraussetzung. Aber er hatte sich in seinem ganzen Leben noch niemals geirrt, und er irrte sich auch jetzt nicht. Er ging nahe an die siebzig, und obgleich er eine sehr stabile Konstitution hatte, hing er nicht mehr so fest am Leben. Er starb nach dreiwöchiger Krankheit, während der Mrs. Penniman ebenso wie seine Tochter unermüdlich an seinem Krankenbett ausgeharrt hatten.
    Als nach einer gebührenden Zeitspanne sein Testament eröffnet wurde, stellte man fest, daß es aus zwei Teilen bestand. Der erste stammte aus der Zeit vor zehn Jahren und umfaßte eine Reihe von Verfügungen, durch |266| die er den Großteil seines Vermögens seiner Tochter hinterließ, mit angemessenen Vermächtnissen an seine zwei Schwestern. Der zweite Teil war ein Zusatz aus neuerer Zeit, der die Jahresrenten für Mrs. Penniman und Mrs. Almond beibehielt, aber Catherines Anteil auf ein Fünftel dessen verringerte, was ihr anfangs vermacht worden war. »Sie ist von seiten ihrer Mutter ausreichend versorgt«, lautete das Dokument, »da sie nie mehr als einen Bruchteil ihres hiervon stammenden Einkommens ausgegeben hat, so daß ihr Vermögen bereits mehr als hinreichend ist, um jene skrupellosen Abenteurer anzulocken, die sie nach meiner Überzeugung, zu der sie mir allen Grund gibt, unbeirrbar
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