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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square
Autoren: Henry James
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Fächer verabreichte, ehe sie sich andern Obliegenheiten zuwandte. Catherine hatte nicht alles verstanden, was sie sagte. Ihre Aufmerksamkeit war ganz in Beschlag genommen durch ihre Bewunderung der Gewandtheit von Marians Verhalten und ihrer Einfälle und durch den Anblick des jungen Mannes, der bemerkenswert gut aussah. Es gelang ihr jedoch, was ihr sonst so oft nicht geglückt war, wenn ihr andere vorgestellt wurden: Sie |30| hatte seinen Namen mitbekommen, der offensichtlich derselbe war wie von Marians kleinem Börsenmakler. Catherine war beim Vorstellen immer aufgeregt; für sie war es ein schwieriger Moment, und sie wunderte sich, daß manche Leute – zum Beispiel eben jetzt ihr neuer Bekannter – ihn für so belanglos hielten. Sie fragte sich, was sie sagen sollte und was es für Folgen hätte, wenn sie nichts sagte. Momentan waren die Folgen sehr angenehm. Mr. Townsend, der ihr keine Zeit zur Verlegenheit ließ, begann ungezwungen lächelnd mit ihr zu plaudern, als kenne er sie schon ein Jahr lang.
    »Was für eine reizende Gesellschaft! Welch bezauberndes Haus! Was für eine interessante Familie! Welch hübsches Mädchen Ihre Kusine ist!«
    Auch wenn diese Bemerkungen nicht sonderlich tiefgründig waren, so schien sie Mr. Townsend als nette Unverbindlichkeiten vorzubringen und als Tribut an eine neue Bekanntschaft. Er blickte Catherine direkt in die Augen. Sie erwiderte nichts; sie hörte lediglich zu und sah ihn an. Und er, als erwarte er keine bestimmte Antwort, fuhr fort, ihr alles mögliche andere in derselben lässigen und natürlichen Art zu sagen. Auch wenn Catherine den Mund nicht aufbrachte, spürte sie doch keine Verlegenheit. Es schien ihr angebracht, daß er redete und sie ihn einfach ansah. Was das so selbstverständlich machte, war, daß er so gut aussah oder vielmehr, wie sie es für sich ausdrückte, so wunderschön war. Die Musik hatte eine Weile geschwiegen, setzte aber plötzlich wieder ein. Daraufhin fragte er sie mit einem innigeren, ausgeprägteren Lächeln, ob sie ihm die Ehre gebe, mit ihm zu tanzen. Selbst auf diese Frage gab sie keine vernehmliche Zustimmung. Sie ließ ihn lediglich seinen Arm um ihre Taille legen – als sie das tat, |31| hatte sie lebhafter denn je den Eindruck, daß dies ein bemerkenswerter Platz für den Arm eines Herrn sei –, und unverzüglich führte er sie im harmonischen Wechsel einer Polka im Saal umher. Als sie innehielten, fühlte sie, daß sie errötet war. Daraufhin unterließ sie es für einige Augenblicke, ihn anzusehen. Sie fächelte sich Luft zu und besah sich die Blumen, die auf ihren Fächer gemalt waren. Er fragte sie, ob sie wieder tanzen wolle, und sie zögerte mit der Antwort und blickte immer noch auf die Blumen.
    »Macht es Sie schwindlig?« fragte er sie in einem Ton großer Liebenswürdigkeit. Da sah Catherine zu ihm auf. Er war wirklich wunderschön und ganz und gar nicht rot. »Ja«, sagte sie, und sie wußte kaum warum; denn Tanzen hatte sie noch nie schwindlig gemacht.
    »Nun gut«, sagte Mr. Townsend, »dann setzen wir uns ruhig hin und plaudern. Ich werde gleich ein gutes Plätzchen dafür finden.«
    Er fand ein gutes Plätzchen – ein reizendes Plätzchen, ein kleines Sofa, das wie geschaffen schien für zwei Personen allein. Inzwischen waren die Räume voller Menschen; die Zahl der Tänzer nahm zu, und unmittelbar vor ihnen standen Leute, die ihnen den Rücken zukehrten, so daß Catherine und ihr Begleiter abgeschirmt und unbeobachtet schienen. »Wir wollen plaudern«, hatte der junge Mann gesagt, aber nach wie vor bestritt er die gesamte Unterhaltung. Catherine lehnte sich auf ihrem Platz zurück, die Augen auf ihn gerichtet, lächelte und hielt ihn für ungemein klug. Er hatte Gesichtszüge wie junge Männer auf Bildern. Catherine hatte noch nie solche Züge – so fein, so vollkommen und wie gemeißelt – bei den jungen New Yorkern gesehen, denen sie auf der Straße begegnete und die sie bei Tanzveranstaltungen |32| traf. Er war groß und schlank, sah aber ungemein kräftig aus. Catherine fand, er sehe aus wie eine Statue. Doch eine Statue würde nicht so plaudern und hätte vor allem nicht Augen von so ungewöhnlicher Farbe. Er war noch nie bei Mrs. Almond gewesen und kam sich wie ein Fremder vor. So war es äußerst liebenswürdig von Catherine, sich seiner anzunehmen. Er war Arthur Townsends Vetter – kein sehr naher, ein ziemlich entfernter – und Arthur hatte ihn mitgebracht, um ihn der Familie vorzustellen.
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