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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square
Autoren: Henry James
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du noch zu unkritisch warst, um eine Abneigung dagegen zu verspüren. Hier schließlich war es, wo sich der Kreis deiner Wahrnehmungen und Eindrücke erweiterte durch deinen ersten Unterricht, erteilt von einer vollbusigen, stämmigen alten Dame mit einem Lineal, die ständig Tee aus einer blauen Tasse trank, deren Untertasse nicht dazu paßte. Hier jedenfalls verbrachte meine Heldin viele Jahre ihres Lebens, was meinen topographischen Exkurs entschuldigen mag.
    Mrs. Almond wohnte viel weiter stadtaufwärts in einer noch unentwickelten Straße mit einer hohen Nummer, in einer Gegend, wo die Stadt ein visionäres Aussehen |27| annahm, wo Pappeln neben dem Pflaster wuchsen (sofern überhaupt eines vorhanden war) und ihren Schatten mit den steilen Dächern planlos verstreuter holländischer Häuser vermischten und wo sich Ferkel und Küken in der Gosse tummelten. Diese malerischen ländlichen Elemente sind jetzt völlig aus dem New Yorker Stadtbild verschwunden, doch fand man sie noch im Gedächtnis von Einwohnern mittleren Alters in Stadtvierteln, wo man heutzutage bei der Erinnerung daran erröten würde. Catherine hatte eine große Anzahl von Vettern und Basen, und mit den Kindern ihrer Tante Almond, die schließlich neun an der Zahl waren, stand sie in sehr vertrautem Verhältnis. Als sie jünger war, hatten sie ziemlich Scheu vor ihr gehabt; sie hielten sie, wie man so sagt, für eine höhere Tochter und jemanden, der durch seinen vertrauten Umgang mit ihrer Tante Penniman gleichsam Vornehmheit widerspiegelte. Mrs. Penniman war den kleinen Almonds mehr ein Gegenstand der Bewunderung als der Sympathie. Das Verhalten der Tante war eigentümlich und furchterregend, und ihre Trauergewänder – sie kleidete sich noch zwanzig Jahre nach dem Tod ihres Mannes in Schwarz und erschien dann urplötzlich eines Morgens mit rosa Rosen an ihrer Haube – waren an ungewöhnlichen und unerwarteten Stellen mit Spangen, Glasperlen und Anstecknadeln aufgemacht, was von Vertraulichkeiten abhielt. Sie ging mit Kindern zu starr um, im Guten wie im Bösen, und hatte eine bedrückende Art, spitzfindige Dinge von ihnen zu erwarten, so daß ein Besuch bei ihr ähnlich war, als würde man zur Kirche mitgenommen und müßte sich in die vorderste Bank setzen. Nach einer Weile jedoch stellte man fest, daß Tante Penniman nur etwas Nebensächliches in Catherines Leben war und nicht ein Teil ihres |28| Wesens und daß das Mädchen, wenn es einen Samstag mit seinen Verwandten verbrachte, durchaus beim Gänsemarschspiel und selbst beim Bockspringen mitmachte. Auf dieser Basis kam es mühelos zu einem Einverständnis und mehrere Jahre lang verbrüderte sich Catherine mit den jungen Verwandten. Ich sage verbrüdern; denn sieben der kleinen Almonds waren Knaben, und Catherine hatte eine Vorliebe für Spiele, für die Hosen am bequemsten sind. Nach und nach aber wurden die Hosen der kleinen Almonds länger, und die, die sie trugen, begannen, sich zu zerstreuen und sich im Leben einzurichten. Die größeren Kinder waren älter als Catherine, und die Knaben wurden aufs College geschickt oder in Kontoren untergebracht. Von den Mädchen heiratete eines sehr pünktlich und das andere verlobte sich ebenso pünktlich. Um das letztgenannte Ereignis zu feiern, gab Mrs. Almond die von mir bereits erwähnte kleine Gesellschaft. Ihre Tochter sollte einen stämmigen jungen Börsenmakler heiraten, einen Burschen von zwanzig Jahren. Man hielt das für eine sehr gute Sache.

|29| 4. KAPITEL
    Mrs. Penniman, mit mehr Spangen und Armringen denn je, kam selbstverständlich zu der Einladung, begleitet von ihrer Nichte. Auch der Doktor hatte versprochen, später am Abend hereinzusehen. Es sollte viel getanzt werden, und noch ehe das sehr weit gediehen war, kam Marian in Begleitung eines hochgewachsenen jungen Mannes zu Catherine. Sie stellte ihn vor als jemanden, der den dringenden Wunsch hatte, die Bekanntschaft unserer Heldin zu machen und als einen Vetter von Arthur Townsend, ihrem Verlobten.
    Marian Almond war ein hübsches Persönchen von siebzehn Jahren, mit einer sehr kleinen Figur und einer sehr großen Schärpe, zu deren Lebensart der Ehestand nichts mehr hinzufügen mußte. Sie hatte bereits ganz das Gebaren einer Dame des Hauses, die ihre Gäste empfängt, ihren Fächer schwenkt und sagt, daß sie bei so vielen Leuten, um die sie sich kümmern müsse, keine Zeit zum Tanzen habe. Sie sprach lang und breit über Mr. Townsends Vetter, dem sie einen Klaps mit dem
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