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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin
Autoren: Thomas Görden
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OVID
    E IN KALTER A BSCHIED
    F ebruar, im Jahr des Herrn 1146:
    Das kleine Kloster lag unter einem kalten, bleigrauen Himmel. Gegen den schneidenden Westwind waren die Fenster der Klosterzellen mehr schlecht als recht durch klapprige Läden und auf Holzrahmen gespannte Tierhäute geschützt. Aus einem dieser Fenster drangen schwere, keuchende Atemzüge, die immer wieder von qualvoll rasselnden Hustenanfällen unterbrochen wurden.
    Vom Fluss war Nebel die Hänge emporgekrochen und hatte die Sträucher im Klosterhof mit einem Frosthauch überzogen. Rings um den Hof führte ein Kreuzgang, der es den Mönchen ermöglichte, trockenen Fußes alle Räume ihres Konvents zu erreichen. Nun öffnete sich die Tür des Krankenzimmers, aus dem die gequälten Laute drangen. Konrad, ein Novize, trat in den Kreuzgang. Einen Moment lang blieb er stehen, rieb seine Hände und schaute dem Dampfhauch seines Atems nach. Konrad, gerade achtzehn geworden, war großgewachsen, aber ziemlich dünn, so dass sein Körper fast in der weiten Mönchstracht verschwand. Er hatte große, dunkle, nachdenklich blickende Augen.
    Aus dem Krankenzimmer brachte Konrad eine innere Kälte mit, die schlimmer war als der Februarfrost – die Kälte des Todes und der Ungewissheit, die dieser Tod mit sich bringen würde. Konrad ging langsam ein paar Schritte, blieb dann erneut stehen und schloss für einen Moment die Augen. Er sah das eingefallene Gesicht des Abtes, hörte die keuchende Mühsal seiner Atemzüge. Konrad ahnte, dass es mit Abt Balduin von Wied zu Ende ging. Sein ausgemergelter Körper schien dem bösen, fiebrigen Husten, der ihn vor einer Woche aufs Lager geworfen hatte, wehrlos ausgeliefert zu sein.
    Seit Konrad als sechsjähriger Junge in das kleine Kloster gekommen war, hatte Abt Balduin sich um seine Erziehung gekümmert. Er war ein strenger Lehrer gewesen, der es Konrad nie leicht gemacht hatte. Konrad öffnete die Augen wieder. Die kalten Nebelschwaden verliehen selbst dem Kräutergarten des Klosters etwas Unheimliches, als ob über den kahlen Beeten Dämonen herumgeisterten.
    Fröstelnd zog Konrad sein Mönchsgewand fester um sich. Seine Schritte durchbrachen die Stille, hallten von den Säulen und Kreuzgewölben wider. Das Kloster, oberhalb des Rheinortes Neuwerth gelegen, war klein und bestand überwiegend aus älteren Mönchen. Neben Konrad gab es nur zwei weitere junge Novizen, und der Prior, Anselm von Berg, war der einzige unter den Mönchen, der noch nicht die fünfzig überschritten hatte. Konrad öffnete eine laut in den Angeln quietschende Tür, und die Glut des Tag und Nacht brennenden Herdfeuers strahlte ihm entgegen. Unwillkürlich atmete er auf. Im Winter war die Küche der einzige wirklich warme Ort im ganzen Kloster. Der Geruch von Fenchel und Salbei stieg ihm in die Nase, und er sah Matthäus zu, der gerade frische Brustwickel bereitlegte. »Ich hatte dich längst erwartet«, sagte er, ohne Konrad anzusehen. »Keine Besserung, nicht wahr?«
    »Leider nicht«, antwortete Konrad. »Ich weiß gar nicht, wie es weitergehen soll, wenn unser Abt stirbt«, fügte er leise hinzu. Plötzlich fühlte er sich schwach und mutlos.
    Der dicke Matthäus war Küchen- und Kellermeister des Klosters, seit Konrad sich erinnern konnte. Matthäus kochte mit Hingabe. In den letzten Jahren hatte er die Verpflegung der Mönche deutlich aufbessern können, da der alternde Abt immer weniger Interesse an weltlichen Dingen gezeigt und nicht mehr so streng über die Askese seiner Anbefohlenen gewacht hatte wie früher. Der Küchenmeister gab die dampfenden Brustwickel in den Eimer, den Konrad ihm hinhielt, und deckte sie mit einem frischen Tuch zu. Dann legte er dem jungen Novizen aufmunternd die Hand auf die Schulter. »Denke daran, dass wir uns nicht an Vergängliches klammern sollen. Wir alle sind nur Ähren im Wind. Wenn der Herr unseren Abt Balduin zu sich ruft, dann wird das schon seine Richtigkeit haben. Wichtig ist, dass wir unseren Dienst versehen und für das Seelenheil unserer Stifter beten, bis diese Welt gerichtet wird, was gewiss noch zu deinen und meinen Lebzeiten geschieht.«
    »Wer wird Balduin nachfolgen?« Konrad hatte Angst vor der Zukunft. Dass Balduin, der in den letzten Jahren gebrechlich geworden war, eines Tages sterben würde, war abzusehen gewesen. Aber warum konnte Gott ihm nicht etwas mehr Zeit schenken, ein oder zwei Jahre wenigstens? Konrad wünschte, er wäre älter und reifer.
    »Wen auch immer unser Herr, der
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