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Wasdunkelbleibt

Wasdunkelbleibt

Titel: Wasdunkelbleibt
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Brüller.«
    Ich lächelte, weil das Wort ›Brüller‹ sich bei Claudes Akzent drollig anhörte. ›Brühlähr‹.
    Claude-Yves’ Autobiografie war bestückt mit Rezepten aus seiner langen Karriere als Koch. Seine ureigenen Kreationen schlossen jedes Kapitel ab, und da er viele Plätze dieser Welt in seinem Leben bereist hatte, waren die Gerichte inspiriert von lukullischen Traditionen Afrikas, Kanadas und Europas. Mir schien das ein bisschen viel an Selbstbeweihräucherung, aber der Kunde war König. Claude-Yves war überzeugt, dass die Restaurantgäste ihm das Werk aus den Händen reißen würden. Er hatte eine Anzahlung geleistet und ging nun zu seinem Laptop, um den Restbetrag online zu überweisen. »Wir Geschäftsleute wissen, wie das ist, wenn man auf seine Kohle warten muss, was?«, rief er zu mir hinüber.
    Ich nickte trübsinnig und leckte mein Glas aus. Auf meinen neuen Auftrag hatte ich nicht die Bohne Lust. Etwas Unbestimmtes schwebte über mir, wenn ich an den vergangenen Sonntag dachte.
    »So, und ›Klick‹«, verkündete Claude-Yves. Er setzte sich wieder zu mir. »Probleme?«
    »Nicht direkt«, sagte ich. »Nur ein ungutes Gefühl. Der neue Kunde.«
    »Warte, warte!« Claude-Yves hob die Hand und stürmte zur Küche. »Ich bin gleich zurück!«
     
    Verzeihen Sie, Leser, nun habe ich mehr über Claude-Yves gesprochen als über mich. Mein Name ist Kea Laverde, ich bin Ghostwriterin, stehe kurz vor meinem 42. Geburtstag, und mein Sternzeichen ist Steinbock. Ich lebe südwestlich von München, nahe des Ortes Ohlkirchen, den keiner kennt, weil er zu klein und zu unbedeutend ist, aber das wird Claude-Yves natürlich ändern; zweifellos wird das ›Méditerranée‹ Furore machen, denn sein Chef hat überall Furore gemacht, wo er kochte, sei es in Québec, Cotonou oder Frankfurt. Ich genieße das Leben in meinem Haus am Ende der Welt, am Hang gelegen, umgeben von sanften Hügeln, mit dem Blick ins Fünfseenland, bei meinen zwei betagten, treuen Graugänsen Waterloo und Austerlitz. Mein Job macht mir Spaß, denn ich bin mein eigener Herr und habe ausreichend Aufträge, um gut zu verdienen. Ich könnte mir zwei Urlaube im Jahr leisten, bin aber nicht scharf aufs Verreisen, da ich früher als Reisejournalistin tätig war und erst im vergangenen Frühjahr eine absurde Fahrt nach Georgien angetreten habe. Die Reise hatte Spaß gemacht, das Land ist wirklich ein Traum, aber ich bin halt lieber zu Hause und miste den Gänsestall aus. Kurzum, aus der Bohémienne, die ich mal war, ist eine ziemliche Spießerin geworden.
    Claude-Yves kam mit einem dampfenden Teller und einer Karaffe mit Wein zurück.
    »Du, ich muss noch fahren«, hörte ich mich sagen, aber Claude-Yves lachte nur.
    »Das ist es, was euch Deutschen fehlt. Den Augenblick nicht leben zu können, weil ihr immer irgendwas tun müsst. Fahren, arbeiten, telefonieren – tut eurem Aufschwung gut, aber dem Volk an sich würde etwas mehr Laisser-faire stehen. Nun erzähl.« Er stellte den Teller vor mir ab. »Ratatouille mit Bulgur, du kennst das Rezept aus dem Buch.«
    Er gab ja doch keine Ruhe. Also lieferte ich einen möglichst detailgetreuen Bericht. Von meinem einsamen, gemütlichen Halloweenabend. Nicht, dass Sie meinen, ich würde jammern. ›Einsam‹ bedeutet für mich eigentlich nur, dass ich meinen eigenen Stiefel machen kann und niemand stört. Manchmal nervt sogar die große Liebe. An Halloween saß ich in Ruhe und Frieden in meiner Klause und guckte die Muppetshow auf DVD, als es klingelte. Bei mir draußen kommen keine Kinderlein vorbei und verlangen ›Süßes oder Saures‹. Erstens, weil ich zu weit von aller Zivilisation entfernt bin, zweitens, weil die besorgten Eltern eine alleinlebende Frau in der Einöde, die als Geist arbeitet, zu unsolide finden, und drittens, weil jeder weiß, dass ich mit derlei Späßen nicht zu erheitern bin. Also ignorierte ich das erste Klingeln und starrte weiter auf den Bildschirm. Als der Mensch vor meiner Tür nicht locker ließ, stand ich auf und spähte aus dem Fenster. Ich sah einen Roller neben meiner Tür parken und einen Knilch, der sich mit dem Kopf gegen die Tür lehnte, als könne er nicht mehr gerade stehen.
    »Wer ist da?«
    »Bastian!«
    Ich riss die Tür auf. Ein Youngster stand vor mir, ein Knäblein, dünn wie ein Strich, mit leuchtenden Augen. Er kam mir irgendwie bekannt vor, ohne dass ich sagen konnte, woher.
    »Ich störe wahrscheinlich«, er sah sich um, als erwarte er eine
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