Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasdunkelbleibt

Wasdunkelbleibt

Titel: Wasdunkelbleibt
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
mehr.
    Er konnte manchmal nicht mehr atmen. Fühlte Beklemmungen in der Brust. Der Sex löste die Ketten, die ihn nach und nach erdrückten, nur für kurze Zeit. Wenn er auf ihr lag und in ihre rastlosen Augen blickte, sah er nichts als Leere.
    Seit einem halben Jahr gab er vor, mehr als sonst arbeiten zu müssen. Sie verstand von nichts etwas. Das war sein Vorteil.
    Dv 0 ttny war jung, vielversprechend und frei. So wie rekinom einmal gewesen war. Aber das führte in eine ganz andere Zeit zurück. Kein Vergleich mit heute. Er war im Kalten Krieg jung gewesen. Er war nicht zu den Anti-Atomdemos gegangen. Er hatte die Stationierung der Missiles befürwortet und erleichtert das Ende der Regierung Schmidt kommentiert. In der Oberstufe, kurz vor dem Abitur. Auf seiner Schultasche klebte seinerzeit ein Sticker: ›Atomkraft, ja bitte‹.
    Dv 0 ttny konnte nicht wissen, was der Kalte Krieg war. Während rekinom quasi ein paar Meter neben dem Eisernen Vorhang aufgewachsen war, chattete Dv 0 ttny mit Leuten in Usbekistan, Vietnam und Chile. Staatsgrenzen gab es für seine Generation nicht mehr, nur die Unannehmlichkeiten, die sich aus der allgegenwärtigen terroristischen Bedrohung ergaben. Die Generation Dv 0 ttny war unpolitisch und undankbar. Gerne hätte rekinom ihr Lebensgefühl geteilt. Er hatte mit dem Commodore 64 angefangen. Der Rechner war mittlerweile so antiquiert wie ein Abakus.
    Er gewöhnte sich an, sich aus dem Bett zu wälzen, während sie nach dem Sex mit einem Mai Tai im Bett lag und sich später ein Bad einließ. Während sie, sich im heißen Wasser aalend, einen Möbelkatalog wälzte, hing rekinom in Chatrooms ab.
    Und eines Tages spürte er Dv 0 ttny auf.
     
     

2
    16.11.2010
     
    Sein Leben schillerte wie der Körper einer Schmeißfliege. Allein deshalb war es der beste Auftrag seit langem gewesen. Schreibe einem Verrückten die Autobiografie, und du hast mächtig was zu lachen.
    Claude-Yves hatte vor einem halben Jahr das ›Piranha‹ in Ohlkirchen übernommen und aus dem stinkenden Pub ein Restaurant mit dem vielsagenden Namen ›La Méditerranée‹ gemacht. Er war Kanadier mit französischem Pass und einer bulgarischen Großmutter, hatte sich angeblich in Benin zum Voodoopriester ausbilden lassen, war Koch im Steigenberger in Berlin und Frankfurt gewesen und führte nun ein Lokal, in dem er Spezialitäten aus allen Ländern rund ums Mittelmeer anbot. Außerdem hatte er Ähnlichkeit mit Mario Adorf. Nur mit weniger Bart, etwas mehr Bauch. Und er war kleiner.
    Zwei Gläser und eine Flasche Rakija landeten auf der Tischplatte. »Auf dich, Kea! Auf meine Ghostwriterin!« Claude-Yves klemmte sich auf die Sitzbank. »Wenn der Laden weiterhin gut läuft, kriegst du mehr Aufträge von mir. Ein Kochbuch zum Beispiel. ›Claude-Yves’ Spezialitäten‹. Oder so. Na denn. Auf uns!«
    Er schluckte seinen Rakija hinunter. Ich tat es ihm nach. Das Bücherpaket stand, eben frisch aus der Druckerei eingetroffen, zerfleddert neben der Theke. Claude-Yves hatte sich für eine Publikation im Eigenverlag entschieden, den er, ganz frankophil, ›éditions méditerranée‹ genannt hatte.
    »Gut, so ein Schnäpschen.« Ich nahm zum wiederholten Mal ein Buch in die Hand. ›Kochen mit Claude‹ schien mir nicht allzu vielsagend, aber Claude-Yves war von dem Titel begeistert. Schließlich war er dabei, sich selbst als Marke zu etablieren.
    »Ist ein Muss. Wie sagen wir heute? Ein Must-do.« Claude-Yves schüttelte den Kopf. Sein dichtes, graues Haar geriet dabei ins Flattern, was ihm sichtlich gefiel. »Dabei frage ich dich: Was haben uns die Amerikaner eigentlich gebracht außer ihrer ulkigen Sprache und McDonald’s?«
    »Du bist selber Amerikaner.«
    »Quatsch! Ich bin Kanadier. Aus Québec. Ein echter Québecois. Das ist ganz was anderes, Kea, ganz was anderes.«
    Ich zuckte die Achseln. »Habe keinen Nerv für Spitzfindigkeiten!«
    Claude-Yves musterte mich aufmerksam. Sein Silberblick irritierte mich. All die Interviewstunden hindurch hatte ich mich auf seine Hände konzentriert,
die so schön gestikulieren konnten, weil mich der Blick aus seinen jeansblauen Augen ablenkte. Er schenkte mir nach.
    »Lass das.«
    »Hast du heute noch zu tun?«
    »Ja. Arbeit.«
    Claude-Yves nickte. Es war Dienstag, und dienstags hatte er Ruhetag. Dennoch saß er in seinem Restaurant und kümmerte sich um dies und das. Am allermeisten um die Ausstattung seines Selbstbildes.
    »Ich verkaufe das Buch hier im Restaurant. Das wird der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher