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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun
Autoren: Sanbine Czerny
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immer mehr projektorientiert und eigenverantwortlich. Der Lehrer wird von der sichernden und arrangierenden Bezugsperson allmählich zum Lernbegleiter und Ansprechpartner. Statt wie derzeit mit defizitorientiertem Blick auf die Kinder zu schauen und seine Beobachtungen schriftlich festzuhalten, betreut der Lehrer die Kinder mit prozess- und entwicklungsorientiertem Blick. So kann er jedem Kind die Unterstützung geben, die es braucht — weit über den Erwerb fachlicher Qualifikationen hinaus. Es ist für die Entwicklung aller Kinder notwendig, dass der Lehrer die Möglichkeit hat, jedes Kind jeden Tag, jede Minute neu zu sehen und zu erkennen, dass Kinder sich ständig verändern und entwickeln — und sich als Lehrer in seiner Arbeit davon führen zu lassen. In der Lehrerausbildung ist ein Umdenken notwendig, damit zukünftige Lehrer lernen können, ihren Unterricht und die Gemeinschaft mit den Kindern so zu gestalten und zu arrangieren, dass alle Kinder von der Heterogenität der Gruppe profitieren und individuelle Lernphasen bestmöglich nutzen können.
    Auch die inklusive Pädagogik, also das selbstverständliche Dazugehören behinderter Kinder von Anfang an, darf in einem demokratischen, sozialen und humanen Land wie Deutschland keine Frage sein. Nicht zuletzt stellen gerade behinderte Kinder eine echte Bereicherung in und für die Gemeinschaft dar, ermöglichen sie doch die Ausbildung feiner sozialer Kompetenzen und unterstützen die Entwicklung wichtiger Werte. Zudem lernen alle Kinder in dieser Gemeinschaft, dass es völlig normal ist, unterschiedlich zu sein. Jeder Mensch ist ein Individuum mit Schwächen und Stärken, jeder Mensch ist anders.

    Die Angst, behinderte Kinder würden andere beim Lernen bremsen, ist unbegründet. Da in der Schule von morgen jedes Kind sein eigenes Mosaik zusammensetzt, wirkt sich die Anwesenheit von behinderten Kindern oder Kindern mit Defiziten nicht negativ auf den Lernprozess der anderen aus. Es mag sein, dass behinderte Kinder aufgrund ihrer Beeinträchtigung ein anderes Mosaikbild entwerfen und manche Fähigkeiten und Fertigkeiten eventuell nicht erwerben. Im derzeitigen Schulsystem haben sie daher kaum eine Chance, erwartet dieses doch, dass sie um jeden Preis (Gleich-)Schritt halten. Behinderte Kinder, denen bislang die Gemeinschaft verweigert wurde — was einen inakzeptablen, groben Verstoß gegen die Menschenrechte bedeutet - erfahren dann endlich, dass auch sie selbstverständlich zur Gemeinschaft gehören. Und nichtbehinderte Kinder dürfen endlich erleben, dass behinderte Kinder selbstverständlich zur Gemeinschaft gehören. Individuelle Förderung bedeutet, dass man sich um jedes Kind kümmert, für jedes individuelle Unterstützung bereithält und individuelle Lösungen in der Gemeinschaft sucht. Behinderte Kinder stellen also in den Schulen von morgen keine Ausnahmen dar.
    Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung — was sich ändern muss
    Die Frage nach einer Verbesserung unseres Schulsystems hängt sehr eng mit der Frage nach dem Leistungsbegriff und damit nach der Leistungsmessung und der Leistungsbeurteilung zusammen. Eine echte individuelle Förderung von Kindern kann mit der derzeitigen Leistungsmessung nicht gelingen, weil sie Schüler und Lehrer auf die gleichen Lerninhalte zwingt und das Erfüllen gleicher Kriterien wichtiger ist als die Möglichkeit zur individuellen und damit andersartigen Entwicklung und Ausbildung. Die derzeitige Leistungsmessung wird unseren Kindern nicht gerecht. Sie ist in abgewandelter Form für einen Teilbereich des modernen Leistungsspektrums durchaus sinnvoll, versagt aber gänzlich in den übrigen Bereichen und verhindert
hier durch die immanente Gleichmacherei gerade das in der heutigen Zeit so wichtige individuelle Lernen.
    Die derzeitige Leistungsmessung berücksichtigt weder Entwicklungsphasen unserer Kinder noch persönliche Umstände, wie die Trennung der Eltern, den Tod der Großmutter oder eine Erkrankung innerhalb der Familie. Bei der Beurteilung wird der Faktor Zeit missbraucht, statt den Kindern zu dienen: Entscheidend ist in diesem System vor allem, wann eine Leistung erbracht wird, nicht ob sie erbracht werden kann. Die gleiche Leistung hat zu einem anderen Zeitpunkt, sogar nur einen Tag später, keinen Wert mehr. Noten werden aufgrund relativer Vorgaben gegeben, sodass es nicht einmal
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