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Was wir sind und was wir sein könnten

Was wir sind und was wir sein könnten

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten
Autoren: Gerald Hüther
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so wird in seinem Gehirn ein für die Steuerung dieser großen Arme und Hände optimales Netzwerk aus dem primär angelegten Überschuss an Vernetzungsoptionen angelegt. Sind die Extremitäten eines Embryos eher klein und filigran, entsteht ein etwas anderes, nun eben für deren Steuerung optimal geeignetes Netzwerk. Nach der Geburt wird man dann beobachten können, dass jedes dieser beiden Kinder etwas anders greift und zugreift. Im Kindergarten wird man dann feststellen, dass das eine Kind beispielsweise mit der Schere besser eine Papierschablone ausschneiden kann als das andere. Und weil das praktische Greifen mit den Händen nur die Vorstufe für das spätere gedankliche Begreifen ist, wird irgendwann die Lehrerin in der Grundschule feststellen, dass sich beide Kinder auch darin unterscheiden, wie schnell sie komplexe und abstrakte Zusammenhänge begreifen.
    Im Gespräch mit der Mutter kommen beide anschließend wahrscheinlich darauf, dass Fritzchen seine Begriffsstutzigkeit vom Vater geerbt haben müsse. Was Fritzchen aber von seinem Vater genetisch vererbt bekommen hat, ist kein Gen für Begriffsstutzigkeit, sondern Anlagen für die Herausbildung ziemlich großer Arme und Hände.
    Jedes Kind hat ja einen ganz besonderen, eben seinen eigenen Körper. Und weil sich die im Gehirn bereits vorgeburtlich herausbildenden Nervenzellverknüpfungen anhand der aus diesem Körper im Gehirn eintreffenden und wieder in den Körper zurückführenden Signalmuster strukturieren, hat auch jedes Kind zum Zeitpunkt seiner Geburt schon ein ganz besonderes, einzigartiges, genau zu seinem Körper passendes, anhand dieses Körpers herausgeformtes Gehirn. Das ist dann für die Steuerung dieses Körpers auch optimal geeignet. Später kommen dann noch andere, ebenfalls einzigartige eigene Erfahrungen dazu, die jedes Kind beim Heranwachsen in seiner jeweiligen Lebenswelt macht. Deshalb sind wir alle einzigartig und jeder für sich auch ganz besonders begabt. Und das ist gut so, denn wenn wir alle gleich wären, könnten wir auch nichts mehr voneinander lernen.

Wir machen besondere Erfahrungen
    Das sich entwickelnde Gehirn passt also seine innere Struktur und seine Arbeitsweise, d.h. seine neuronalen Verschaltungen und synaptischen Verbindungen, an das an, womit es in einer engen Beziehung steht. Das ist zunächst, während der gesamten vorgeburtlichen Entwicklung, aber auch im weiteren Leben in jedem Moment der Körper, und all das, was im Körper – mit und ohne Zutun des Gehirns – passiert. All das, was dort, im Gehirn, an Signalen ankommt, führt zum Aufbau eines charakteristischen Erregungsmusters innerhalb der im Gehirn ausgebildeten neuronalen Netzwerke. Je häufiger ein solches spezifisches Erregungsmuster entsteht, desto stärker werden die daran beteiligten synaptischen Verbindungen gebahnt und gefestigt. Auf diese Weise entstehen im Gehirn zunächst zunehmend komplexer werdende, strukturell verankerte Repräsentationen der aus dem Körper eintreffenden Signal- (wie auch der im Gehirn erzeugten Reaktions- oder Antwort-) Muster. Später, wenn die Sinnesorgane so weit gereift sind, dass sie durch spezifische Wahrnehmungen entstandene Erregungsmuster zum Gehirn (sensorischer Cortex) weiterleiten, werden auch diese Sinneseindrücke als innere Repräsentationen der jeweils gemachten Sinneserfahrungen im Gehirn herausgeformt und mit den jeweiligen Antwort- und Reaktionsmustern auf die betreffende Wahrnehmung verbunden. Und noch später, wenn der heranwachsende Mensch zunächst mit seinen Eltern und dann mit immer mehr anderen Menschen in Beziehung tritt, werden diese Beziehungserfahrungen in den höheren, komplexesten Bereichen des Gehirns in Form sogenannter Metarepräsentationen verankert.
    Zug um Zug werden auf diese Weise die komplizierten Nervenzellverschaltungen in den verschiedenen Regionen aufgebaut. Die von den Sinnesorganen ankommenden Erregungsmuster werden dabei benutzt, um immer stabilere und zunehmend komplexer werdende »innere Bilder« in Form bestimmter Verschaltungsmuster in den verschiedenen Hirnregionen zu verankern. Das gilt nicht nur für das Sehen und die Verankerung innerer »Sehbilder«, sondern ebenso für das Tasten und die Herausbildung innerer »Tast- und Körperbilder«, für das Hören und die Entstehung entsprechender »Hörbilder« und das damit einhergehende Verstehen und Verankern von Sprache, letztlich auch für das Interesse am Zuhören. Auf gleiche Weise entwickelt sich die Fähigkeit, aus
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