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Was wir sind und was wir sein könnten

Was wir sind und was wir sein könnten

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten
Autoren: Gerald Hüther
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99 , 5  % aller Gensequenzen sind identisch.
    Und die meisten der in unseren Zellkernen aufgewickelten Gene finden sich sogar schon bei den Würmern. Seitdem es uns Menschen als eigene Art, als Homo sapiens gibt, also seit mindestens 100   000  Jahren, hat sich an unseren genetischen Anlagen auch nichts mehr verändert. Wir hätten also, wenn all das, was wir sind, durch unsere Gene gelenkt würde, schon damals lesen und schreiben, Rad fahren und auf den Mond fliegen können.
    Was also ist das Besondere an uns? Genetisch kann es ja nur ein ganz kleines Stück DNA sein, das uns von den Affen unterscheidet. Aber die Molekularbiologen haben es bisher noch nicht gefunden. Vielleicht wissen sie in diesem Heuhaufen an exprimierbaren Gensequenzen auch nicht, wo sie die Stecknadel suchen sollen.
    Wir können ja einmal versuchen, das selbst durch einfaches Nachdenken herauszufinden. Der vielversprechendste Ausgangspunkt dafür ist wohl der Umstand, dass bei uns alles langsamer geht als bei den Affen. Unsere Entwicklungsgeschwindigkeit, also das Tempo, mit dem sich die Embryogenese vollzieht, mit dem sich die einzelnen Organanlagen und Organe herausbilden und mit dem sich vor allem das Organ entwickelt, das uns am stärksten von den Tieren unterscheidet, muss sich durch irgendeinen Trick, den die Natur gefunden hat, enorm verlangsamt haben. Wir müssten also nach einem Regulatorgen suchen, das während der Embryonalentwicklung die Differenzierungsgeschwindigkeit embryonaler Zellen steuert. Nicht aller, sondern vor allem derjenigen, aus denen sich unser Gehirn entwickelt. Die heißen ektodermale Zellen, und aus ihnen wird später unsere Haut, unser Nervensystem, aber auch unsere Behaarung. Wie schnell dieser Differenzierungsprozess abläuft, wird von sogenannten Regulatorgenen gesteuert. Offenbar ist ein die Herausbildung ektodermaler Derivate verlangsamendes Regulatorgen im Verlauf der Menschwerdung recht gezielt ausgelesen worden. Wahrscheinlich durch sexuelle Selektion. Also durch Partnerwahl, die durch eine besondere Vorliebe für weniger behaarte Sexualpartner gelenkt worden ist. Eine derartige Vorliebe findet man schon bei den sich von vorn verpaarenden Bonobos. Die sind uns sowohl in Bezug auf ihre geistigen Fähigkeiten wie auch in Bezug auf ihre schon recht spärliche Bauchbehaarung auch besonders ähnlich. Wenn nun unsere noch halbäffischen Vorfahren ebenfalls schon solche Liebespartner besonders attraktiv gefunden und sich am liebsten mit denen verpaart haben, die nicht ganz so struppig am Bauch und auch sonst am Körper weniger behaart waren, dann hätten sie auf diese Weise eine Selektion betrieben, die zwangsläufig zu einer Auslese solcher Regulatorgene führen musste, die die Herausbildung ektodermaler Derivate verlangsamt oder unterdrückt. Dann sind aber nicht nur die Haare langsamer oder gar nicht mehr gewachsen, sondern im sich entwickelnden Gehirn verlief die Reifung dann auch entsprechend langsamer.
    Und was langsamer abläuft, ist leichter durch äußere Faktoren beeinflussbar. Daraus lässt sich dann – durch die Variation dieser Faktoren – auch wesentlich mehr machen. Mit einem solchen, weniger starkem Differenzierungsdruck ausgesetzten, langsamer ausreifenden Gehirn kann man dann zwar nichts besonders gut, aber alles ein bisschen. Ein bisschen laufen, ein bisschen klettern, ein bisschen schwimmen. Und was man noch nicht kann, das kann man eben später mit einem sich so langsam entwickelnden und deshalb zeitlebens lernfähig bleibenden Gehirn noch dazulernen. Fliegen zum Beispiel oder Autofahren oder Tiefseetauchen oder zum Mond fliegen. Deshalb sind wir langsam ausreifende, nie richtig fertig werdende Alleskönner.

Wir haben ein besonderes Gehirn
    Was uns also von den Tieren unterscheidet, sind lauter Fähigkeiten, die sich nur dann erklären lassen, wenn man von einer besonderen Entwicklungsfähigkeit genau dieses Organs ausgeht, mit dessen Hilfe wir all diese Leistungen und all diese Ideen hervorbringen. Was aber ist das Besondere an unserem Gehirn, das es uns im Gegensatz zu allen Tieren ermöglicht, uns immer wieder etwas Neues auszudenken, etwas Neues zu entdecken oder zu erfinden, etwas Neues zu bauen oder herzustellen? Und wieso können wir anschließend unsere individuell ausgedachten Ideen und unsere individuell erworbenen Fähigkeiten an andere Menschen weitergeben und vor allem über viele Generationen hinweg an unsere Kinder überliefern?
    Keine andere Spezies kommt mit einem
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